So divers

RTL startet sechs internationale Serien am Stück – und zeigt, wie vielfältig Fernsehen sein kann, wenn es sich vom heteronormativen Männer-Mainstream löst

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
In »Eden« sind die Perspektiven zwar weiblich, aber die Körper mal wieder normschön.
In »Eden« sind die Perspektiven zwar weiblich, aber die Körper mal wieder normschön.

Menschen sind bekanntlich verschieden. Es gibt dünne und dicke, dumme und schlaue, lange und kurze, starke und schwache, helle und dunkle, schöne und hässliche, kranke und gesunde, feminine und maskuline, junge und alte. Weil Menschen jedoch selten binär sind, gibt es auch alles Mögliche dazwischen, wofür ein naturwissenschaftlicher Begriff gebräuchlich ist: Diversität. Selbst die klassische Fernsehunterhaltung begreift ja langsam, dass Vielfalt ein Zeichen von Stärke statt Schwäche ist, und besetzt Helden seltener mit dünnen, schlauen, langen, starken, hellen, schönen, fitten Männern mittleren Alters, sondern allem, was unsere Spezies so hervorbringt.

Nicholas zum Beispiel, ein schwuler Chaot mit autistischer Schwester. Oder Rose, die trotz überschüssiger Pfunde einen Filmstar abschleppt. Dazu Chester, dessen flamboyante Homosexualität mit dem reaktionären Regime seiner Highschool kollidiert. Und dann wäre da noch die Schwarze Businessfrau Fola, an der wirklich alles anders ist als am Bildschirm üblich. So sehen also Hauptfiguren eines halben Dutzends Serien aus, die RTL parallel startet und damit Fragen aufwirft wie etwa: Ist Diversität schon mehr als ein Farbklecks im schwarz-weißen Bild klassischer Charaktere tradierter Geschichten? Die Antwort lautet ja, aber.

Was all die internationalen Importe gemeinsam haben, ist nämlich nicht nur ihr Hang, Außergewöhnlichkeit angenehm unaufgeregt in den Mainstream fließen zu lassen. Sie bedienen sich dafür standardisierter Erzähltechniken, die das soziokulturelle Abseits massentauglich machen – allen voran »Eden«. Das australische Psychodrama erzählt von einer Studentin aus New York auf Ferienreise in ihr Heimatnest, dessen paradiesischer Name über ein Netz dunkler Geheimnisse hinwegtäuscht. Fast ausnahmslos von Frauen verantwortet, nimmt der Achtteiler zwar strikt weibliche Perspektiven ein, besetzt sie aber mit Sophie Wilde und BeBe Bettencourt, also Schauspielerinnen von fast grotesker Attraktivität.

Nicht sehr progressiv, wie die Macherinnen hier hochglänzende Klischees reproduzieren. Was auch für die zweite Enttäuschung der RTL-Offensive gilt. Irene Arcos, Hauptdarstellerin des sechsteiligen Thrillers »You Shall Not Lie«, firmiert in dieser Story um den Sexskandal einer spanischen Lehrerin ebenfalls als lasziver Blickfang mit Traumfigur. Handlung? Egal! Umso schöner, dass sich die anderen vier Formate von dieser oberflächlichen Effekthascherei emanzipieren. Und wie.

In »Starstruck« erwacht die derbe, dralle, laute, nach TV-Kriterien also bindungsunfähige Rose nach einer durchzechten Silvesternacht im Bett des umschwärmten Hollywoodstars Tom (Nikesh Patel) und will danach nichts von ihm wissen, weshalb – Obacht – er sie zu umschwärmen beginnt. Mit dieser Rollentausch-Variante von »Notting Hill« hat sich die neuseeländische Komikerin Rose Matafeo nicht nur ein hinreißendes Double auf den Leib geschrieben, sondern der BBC mit fünf Millionen Streams auch die erfolgreichste Comedy 2021.

Ganz so zugkräftig waren die zehnminütigen 18 Episoden von Oliver Litteltons Anti-Love-Story »Cheaters« aus gleichem Haus zwar nicht. Aber wenn der unansehnliche Londoner Josh (Joshua McGuire) seine Frau mit einer Reisebekanntschaft Fola (Susan Wokoma) jenseits (weißer) Schönheitsideale betrügt, die sich kurz darauf als neue Nachbarin erweist, hätte das Personal allein schon Topquoten verdient. Selten war humoristisches Fernsehen so weit oben auf der Besetzungsliste nonkonformer. Und das gilt schon deshalb auch für »Generation«, weil die Macherin niemand Geringeres als Lena Dunham ist.

Wie in ihrer Selbstermächtigungslegende »Girls« entdecken (etwas jüngere) Menschen hier Fluch und Segen unausgereifter Sexualität. Was schon deshalb glaubhaft wirkt, weil der Serienschöpfer Daniel Barnz die angenehm unvollkommenen Charaktere nach Erlebnissen seiner 18-jährigen Tochter Zelda aufgeschrieben hat. Deckungsgleich mit seiner Figur ist zu guter Letzt auch Josh Thomas. Wie einst in »Please Like Me«, erzählt der australische Autor des tragikomischen Zehnteilers »Everything›s Gonna be Okay« mit sich selbst in der Hauptrolle wieder von Liebe und Leid eines schwulen Mannes – hier jedoch an der Seite einer autistischen Schwester, die er nach dem Tod des Vaters betreuen muss. So komplettiert Josh Thomas ein Seriensextett, mit dem RTL – trotz Synchronisationen am Rand der Körperverletzung – das mal oberflächlich, meist tiefgründig mit vom männerbeherrschten Schnitt handelsüblicher Serien abweicht. Lang lebe die Diversität.

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