Zwischen Libyen und der DDR

Diplomat Achim Reichardt zu Gast bei der Potsdamer Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Die DDR pflegte gute Kontakte zu Libyen. Ein ehemaliger Diplomat sorgt sich um die Zukunft des jetzigen Bürgerkriegslandes.

Zum vielversprechenden außenpolitischen Erbe der DDR, das gleichwohl nach 1990 ausgeschlagen und nicht produktiv gemacht worden ist, gehörten vernünftige Beziehungen zur arabischen Welt. Ein Diplomat, der mehrere Jahre in Libyen verbracht und dort die ersten diplomatischen Schritte seines Heimatlandes gestaltet hatte, war am Mittwoch Gast der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam. Es war Achim Reichardt, der am Ende der 1980er Jahre als Generalsekretär des Solidaritätskomitees der DDR gearbeitet hat.

Was heute in Libyen geschehe, das »geht an mir nicht spurlos vorüber«, bekannte Reichardt vor dem vorwiegend älteren Publikum. Dabei nannte er das in diesem nordafrikanischen Land herrschende Chaos infolge eines gewaltsamen Sturzes des früheren Machthabers Muammar al-Ghaddafi und den beträchtlichen Landgewinn, den der sogenannte Islamische Staat inzwischen verbuchen könne. Ausdrücklich unterstrich der Ex-Diplomat: Die Machtergreifung Ghaddafis in den 1960er Jahren sei ein innerlibyscher Vorgang gewesen, sein Sturz 2012 und seine Ermordung ein gewaltsamer Akt von Außen, durch Waffen der USA, Frankreichs und Italiens.

In seinem Buch »Abenteuer eines DDR-Diplomaten - Meine Jahre in Libyen« beschreibt Reichardt die Entwicklung des Landes unter Ghaddafi, die Verwandlung in eine moderne Welt mit Schulbildung und bewundernswerter Wasserversorgung: »Eine staatlich gelenkte Sozialpolitik trat an die Stelle der Armen- und Krankenbetreuung durch islamische Wohlfahrtsorganisationen.«

Der heutige unerwartete Gewaltausbruch, die wachsende Aggressionsbereitschaft auch in Libyen fanden für Reichardt ihren Ausgangspunkt mit dem Angriff der USA auf Afghanistan und die sich anschließenden Angriffskriege gegen den Irak. Was Libyen erleide, das drohe nun auch dem syrischen Volk.

Reichardt warnte davor, die Haltung von USA, Türkei und Saudi Arabien gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu übernehmen. »Assad verkörpert heute als einziger in dieser Region ein weltliches politisches System, in dem 1,3 Millionen Christen Schutz genießen.« Der Beginn von Assads Herrschaft sei keineswegs von einer Blutorgie begleitet gewesen, wie ihm vom Westen vorgehalten werde, sondern mit vorsichtigen Demokratisierungsversuchen.

Der Staat Libyen sei seinerzeit für die DDR »von enormer Bedeutung« gewesen. Reichard, der in Potsdam in den 1950er Jahren am Institut für Internationale Studien tätig war, schilderte die Situation eines DDR-Diplomaten unter den Bedingungen der von der Bundesrepublik verfolgten Hallstein-Doktrin: Wenn er mit arabischen Vertretern verhandelt habe, saß »immer ein dritter Verhandlungspartner mit am Tisch«. Und das sei die Bundesrepublik gewesen, die zu dieser Zeit allen Staaten der Dritten Welt mit Abbruch der Beziehungen gedroht habe, die Beziehungen zur DDR aufbauen wollten.

In den 1960er Jahren war beispielsweise umstritten, in welcher Form die DDR sich an Wirtschaftsmessen in Tripolis beteiligen konnte. Kurz vor der Eröffnung einer solchen Messe, so schilderte Reichardt einen bezeichnenden Fall, habe er einen Anruf vom libyschen Messedirektor erhalten, der ihn ultimativ aufgefordert habe, die Bezeichnung »DDR« auf dem Ausstellungspavillon unkenntlich zu machen und die Fahne der DDR einzurollen. »Wenn Sie dazu nicht bereit sind, wird der Pavillon geschlossen.« Aber auch dort waren die Dinge im Fluss. Der gleiche Mann stellte einige Tage später die Frage, warum die Bezeichnung DDR nicht zu lesen sei und warum ihre Fahne nicht wehe.

Seine Arbeit in Libyen sei vom libyschen Geheimdienst genauestens beäugt worden, was keineswegs angenehm gewesen sei, ließ Reichardt wissen. Es konnte sein, dass ihm sein Pass, den er zwecks Verlängerung den Behörden übergeben hatte, einfach nicht wieder ausgehändigt wurde. Vom DDR-Außenministerium habe es in diesen Fällen geheißen: »Nicht ausweisen lassen, vorher abreisen«. Am Ende sei eine Abreise dann aber doch nicht notwendig gewesen. Gleichzeitig sei er als DDR-Vertreter durch den westdeutschen Bundesnachrichtendienst (BND) observiert worden. Er habe nach der Wende die Aushändigung seiner BND-Akte beantragt, sie aber nicht erhalten.

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