Verfassungsschutz im Visier

Das LKA Hannover befasst sich jetzt mit dem Reichstagsbrand 1933

  • Alexander Bahar
  • Lesedauer: 5 Min.

Trotz extremer Unwahrscheinlichkeit galt in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft und Publizistik lange Zeit die These von der Alleintäterschaft beim Reichstagsbrand, dem Auftakt des NS-Terrors. Der Holländer Marinus van der Lubbe sollte in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 das Feuer allein gelegt haben. Wer Kritik an der These übte, der wurde von den Mainstreammedien und der etablierten Geschichtswissenschaft als Verschwörungstheoretiker diffamiert.

Schützenhilfe erhalten nun alle, die nicht an die Mär von der Alleintäterschaft des nahezu blinden Maurergesellen und Rätekommunisten van der Lubbe glauben, ausgerechnet von einer Forschergruppe im Landeskriminalamt (LKA) Hannover. An dessen Spitze stand von 1951 bis 1952 mit Walter Zirpins ein ehemals aktiver Nazi. Einige seiner Gedanken über die Polizeiarbeit, so sehen es Dr. Karola Hagemann und Dr. Sven Kohrs, sind bis heute präsent. Die beiden beschäftigen sich seit 2008 im Auftrag des LKA-Präsidenten Uwe Kolmey mit der Geschichte des Amtes, seit 2012 speziell anhand des ehemaligen Chefs Zirpins.

Aufmerksam geworden sind die beiden auf jenen, weil sein Konterfei in der Bildergalerie früherer Präsidenten im LKA Hannover fehlt. Den Grund fanden sie schnell heraus: Im NS-Polizeiapparat hatte er Schlüsselfunktionen bekleidet, war Mitglied der SS, Leiter der Kriminalpolizei im Ghetto Lodz und stieg schließlich zu einer hohen Position in Reinhard Heydrichs Reichssicherheitshauptamt auf. Für seine Nachkriegskarriere in der BRD war das kein Hindernis. Erst als 1952 ein Artikel aus Zirpins’ Feder über seine Tätigkeit im Ghetto Lodz an die Öffentlichkeit kam, »wurde er noch im selben Jahr zum stellvertretenden Leiter des LKA degradiert«, erläutern Hagemann und Kohrs. Er kam vor Gericht, wurde aus Mangel an Beweisen aber freigesprochen. Seinen Denkmustern aus der Nazizeit blieb er treu, sind die Forscher überzeugt und verweisen darauf, dass Zirpins noch in den 1950er Jahren eine generelle polizeiliche Überwachung von Ausländern sowie die Abschaffung der Staatsanwaltschaft forderte.

Hagemann und Kohrs arbeiten an einer Biografie über Zirpins, der »als Beispiel für personelle Kontinuitäten nach 1945« stehe. Der Fokus der Biografie richtet sich zugleich darauf, ob Zirpins die Entwicklung des LKA sowie die niedersächsische Kriminalpolizei insgesamt beeinflusst habe, berichten Kohrs und Hagemann. Auch beim Reichstagsbrand spielte Zirpins, damals Mitarbeiter der Preußischen Politischen Polizei und wenig später in der Gestapo, eine wichtige Rolle. Er hatte Marinus van der Lubbe vernommen. Der war als einziger im brennenden Reichstagsgebäude aufgegriffen, im spektakulären Reichstagsbrandprozess, der die Tat den Kommunisten in die Schuhe schieben sollte, verurteilt und im Januar 1934 hingerichtet worden.

Nach dem Krieg traf er im niedersächsischen Innenministerium auf den ehemaligen Buchhändler Fritz Tobias, der dort die Nachrichtenpolizei aufbaute. 1959/60 gelang Tobias ein unglaublicher Coup: Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« veröffentlichte den Vorabdruck seines Buches »Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit«. Fazit: Es sei ein einzelner Täter gewesen: Marinus van der Lubbe. Die Ermittlungen der Polizei damals seien absolut korrekt gewesen, Hitler und die NS-Führung seien vom Brand überrascht worden und hätten ehrlich an ein kommunistisches Attentat geglaubt. Die nach 1945 weit verbreitete Überzeugung, dass die Nazis als politische Profiteure des Brandes diesen inszeniert hatten, war nach Tobias das Ergebnis »kommunistischer Lügenpropaganda«.

Anfangs unter Historikern kontrovers debattiert, wurde Tobias’ »Alleintäterthese« zur herrschenden Meinung in der Bundesrepublik, dank auch des Bochumer Geschichtsprofessors Hans Mommsen. Vehement verteidigten beide ihre These gegen Zweifler, ignorierten Einwände und schüchterten Kritiker sogar mit Anzeigen und Gerichtsverfahren ein. Dies alles, so Kohrs, könne »nicht ohne Wissen der Regierung bzw. des Verfassungsschutzes geschehen sein«. Hagemann vermutet: »Er muss ein Interesse verfolgt haben, denn er hat für die Verfolgung dieser These sogar illegale Mittel angewendet. Er hat Zweifler unter Druck gesetzt - das ist inzwischen beweisbar.«

Doch warum beharrte Tobias, der stets seine SPD-Mitgliedschaft hervorhob, so stur auf der Einzeltäterthese? Welche Motive hatte er? War der Verfassungsschützer Tobias das Sprachrohr einer Seilschaft ehemaliger NS-Aktivisten in der niedersächsischen Landeshauptstadt? Mit Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) saß der Landesregierung ein ehemaliger Nazi vor. Wie Zirpins‘ stand auch Kopfs Name auf der polnischen Kriegsverbrecherliste, zeitweilig sogar auf derjenigen der alliierten Kriegsverbrecherkommission.

Rudolf Diels, der erste Chef der Gestapo, lebte mittlerweile ebenfalls in Hannover, wo er sich als Zuträger für die britische Militärregierung und den US-Geheimdienst CIC betätigte und auf eine Nachkriegskarriere im Verfassungsschutz hoffte. Er hatte unter anderem die Massenverhaftungen in der Brandnacht geleitet und diese sogar sechs Stunden vor dem Brand (!) in einem Polizeifunktelegramm angekündigt. Der Einzeltäterlegende bereitete Diels bereits im Rahmen seines Spruchkammerverfahren den Boden, in dem Tobias laut Kohrs als dessen »Fürsprecher« aufgetreten war und aus dem Diels 1948 relativ unbeschadet hervorging.

Aber wer beauftragte Tobias? Dessen Nachlass liegt inzwischen dem Bundesarchiv in Koblenz vor. Er umfasst Tausende von Akten. Obwohl er noch nicht für die öffentliche Erschließung freigegeben ist, gelang ein Dokument an die Öffentlichkeit: ein von Tobias verfasster mehrseitiger dienstlicher Vermerk vom 9. März 1963. Glaubt man dem, so stand hinter seiner »Aufklärung« des Reichstagbrandes ein Auftrag von ganz oben: »Den ersten dienstlichen Auftrag zur Untersuchung der näheren Umstände des Reichstagsbrandfalles erhielt ich bereits Ende 1951/Anfang 1952.« Als Referent für die Nachrichtenpolizei habe er damals ständig »heikle personelle Aufträge« bekommen - von Innenminister Richard Borowski und dessen Staatssekretär Dr. Erich Danehl (beide SPD) sowie dem ersten BKA-Präsidenten Max Hagemann. Der war wie Kopf ein Altnazi. Tobias’ Motiv: der angebliche »Kampf um die geschichtliche Wahrheit« und gegen die »Falschmünzerei der Kommunisten«. Karola Hagemann und Sven Kohrs halten es für keineswegs unwahrscheinlich, dass Tobias nicht nur einen Auftrag von der Landesregierung, sondern sogar vom Verfassungsschutz erhalten hatte.

Der Historiker Dr. Alexander Bahar, Jg. 1960, verfasste mit Wilfried Kugel die Dokumentationen »Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird« (2001) und »Der Reichstagsbrand. Geschichte einer Provokation« (2013).

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