Von Thüringen lernen

Bei ihrer Klausur in Erfurt stimmt sich die LINKE auf den Wahlkampf ein

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berliner werden mehr, die Bedingungen für ihr Zusammenleben wachsen aber nicht in gleichem Maße. Eine geschrumpfte Verwaltung trifft laut Statistischem Bundesamt auf das niedrigste Investitionsniveau pro Kopf im Ländervergleich. Nicht nur in Sachen LAGeSo ist von »Chaos« die Rede. Unzufriedenheit mit dem Status Quo, aber auch der Wille nach Veränderung macht sich bei der Linksfraktion breit: »Wir müssen die wachsende Stadt gestalten und der ungehemmten Entwicklung einen Steuerungsprozess entgegenstellen«, forderte der Berliner Linksparteichef Klaus Lederer auf der Fraktionsklausur am Wochenende.

Die 19 Abgeordneten waren nach Erfurt gereist, um von den Erfahrungen der thüringischen rot-rot-grünen (r2g)-Koalition zu lernen. Die Weichen für ein gleiches Bündnis sollen auch in Berlin nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst gestellt werden. Zugleich kündigten die Linkspartei-Politiker ein umfassendes Investitionsprogramm mit dem Namen »Berlin Plus X« an.

Beschlüsse der Fraktion
 Sanierungen: Masterplan über zehn Jahre für Abbau des Sanierungsstaus. Über landeseigene Gesellschaften sollen Kredite aufgenommen werden können, um die gesetzlich verankerte Schuldenbremse zu umgehen.

 Verkehr: Ausbau der Fahrradinfrastruktur; Fahrradstreifen für alle Hauptverkehrsstraßen; Stellplätze und Fahrradparkhäuser an Haltestellen und Bahnhöfen. Eigene Busspuren sowie Ausbau des Straßenbahnnetzes. Tram-Verbindungen sollen auf Westteil der Stadt ausgedehnt werden.

 Energie: energetische Sanierung der öffentlichen Gebäude; Fotovoltaik-Technik und Kraftwärme-Kopplung müssen ausgebaut werden; Energienetze sollen in kommunales Eigentum.

 Flüchtlinge: Verbindliche Standards für alle Unterkünfte; Ferienwohnungen müssen zur Verfügung stehen; Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber bei unbefristeter Einstellung von Geflüchteten und Langzeitarbeitslosen. seb

Berlin investiere pro Jahr eine Milliarde Euro zu wenig in die Stadt, erklärte Harald Wolf, Fraktionssprecher für Verkehr und Energie. Er schätzt, dass es mittlerweile einen Gesamtsanierungsbedarf von zehn Milliarden Euro gibt. Die Fraktion fordert einen Masterplan über zehn Jahre, um den Sanierungsstau abzubauen. Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse verhindere jedoch eine sinnvolle Investitionspolitik, hieß es.

Die Fraktion schlägt die Schaffung von »Öffentlich-öffentlichen-Partnerschaften« (ÖÖP) vor, um die strengen Budget-Regeln zu umgehen. So sollen landeseigene Gesellschaften beispielsweise für an sie übertragene Schulen Miete vom Land erhalten und gleichzeitig Kredite für notwendige Schulsanierungen aufnehmen können. »Das ist eine Vorfinanzierung, die man danach tilgt und so in der Lage ist, Sanierungsstau rasch abzubauen«, erklärte Wolf.

Es gehe dabei um mehr als um einfache Instandsetzung: »Wir wollen einen Beitrag zum sozial-ökologischen Umbau leisten«, sagte der Abgeordnete. Vor allem Investitionen in den Öffentlichen Personen-Nahverkehr sowie Pläne für umfassende energetische Sanierungen sollen den Wandel vorantreiben und gleichzeitig die Wirtschaft stärken. Straßenbahnanbindungen nach Westberlin sowie Fotovoltaik-Anlagen auf Dächern öffentlicher Gebäude gehören zu den Vorhaben, die von den Abgeordneten als Bestandteile des Investitionsprogramms vorgestellt wurden. Ein Vorgehen wie bisher sei nicht mehr vertretbar: »Sanierungsstau ist nichts anderes als eine verdeckte und obendrein extrem teure Form der Verschuldung«, konstatierte Wolf.

Die Linksfraktion beschloss ebenso einen umfangreichen Plan, um die Teilhabe, Inklusion und Versorgung von Asylbewerbern in der Hauptstadt zu verbessern. »In Berlin ist eine Krise entstanden, der Senat hat aber nichts gemacht«, sagte die Abgeordnete Elke Breitenbach. Die Fraktion fordert eine Art »Heim-TÜV« mit verbindlichen Standards für alle Flüchtlingsunterkünfte sowie deren regelmäßige Kontrolle. Wohnungen mit Küche und Bad sollen in Flüchtlingsunterkünften die Regel darstellen und nur in infrastrukturell erschlossenen Gebieten errichtet werden. Not- und Massenunterkünfte gehören »schnellstmöglich« geschlossen.

Neben den inhaltlichen Debatten ging es um Möglichkeiten und Bedingungen einer rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Die Chancen für ein erneutes Mitregieren haben sich aus Sicht der Abgeordneten wieder verbessert: »CDU und SPD können nicht mehr miteinander und wollen auch nicht mehr miteinander«, so Fraktionschef Udo Wolf. Laut einer aktuellen Umfrage erreichen SPD, Grüne und LINKE zusammen 60 Prozent in der Hauptstadt. Ohne Fingerspitzengefühl und Kompromissbereitschaft funktioniert es nicht, erklärte Thüringens LINKE-Ministerpräsident Bodo Ramelow den Berlinern: »Ich sitze nicht für die LINKE im Bundesrat, sondern für die Koalition.«

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