»Nicht unterdrückbar«

Die große deutsche Schauspielkünstlerin Jutta Hoffmann wird heute 75

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Rosa Luxemburg, ein zartes Wesen, ins Badetuch geschlagen. Wie schön sie ist, oder besser gesagt: wie Schönheit darum bittet, in die Welt der Prüfungen, des Leidens eingelassen zu werden. Wie Schönheit also um Charakter bittet. Gewährt!, sagt das Gesicht von Jutta Hoffmann. Schönheit: eine Arbeit, der Welt nicht so zu entsprechen, wie sie uns haben will. Die Luxemburg sinnend, im Gefängnis - jetzt tritt sie in die Mitte der Bühne, legt einen Brustpanzer an, eine Jeanne d’Arc der Revolution. Hoch oben öffnet sich der weiße Bühnenhimmel, und herab saust ein mit Bannerrot drapierter Speer, bohrt sich exakt dort tief in den Boden, wo vor einer Sekunde noch die Hoffmann stand. Später wird diese kleine Rosa, Ritterin gegen die traurig ewige Gewalt, auf langem Drehbühnenmarsch hinter dieser Fahne hertrapsen, ein riesiges Schwert schleppend; im penetranten Schleifgeräusch scheppert alles Blech aller Geschichte. »Verratenes Volk« am Deutschen Theater, 2001, ein Wurf von Einar Schleef, sein Vermächtnis. Jutta Hoffmann war dem wuchtigen Genius, dem oratorischen Klotz die sanftestmögliche spielerische Entsprechung. Ich war nach diesem zerrenden, dröhnenden, druckvollen, walzenden Abend einfach nur erschlagen und - dankbar.

Peter Zadek nannte die Künstlerin »zentral, stark«. Sie selber sagte, sie sei in dieser »Piepse-DDR« ein »Weltstar im Pappkarton« gewesen. Das ist vor allem die Geschichte ihrer Filme mit Hans-Joachim Kasprzik (»Kleiner Mann - was nun?«), Frank Beyer (»Das Versteck«). Und Egon Günther (»Junge Frau von 1914«, »Anlauf«, »Der Dritte«), der die Zerbrechliche als »nicht unterdrückbar« bezeichnete.

Das Störrische fängt früh an. Von Maxim Vallentin, Intendant des Maxim Gorki Theaters, erhielt die Absolventin der Filmhochschule Babelsberg ein tolles Angebot: »Ich inszeniere demnächst ›Drei Schwestern‹ von Tschechow. Da sollen Sie mal endlich eine große Rolle spielen.« Jutta Hoffmann lehnt ab: »Mir gefallen Ihre Inszenierungen nicht.« Vallentin macht ihr die Konsequenz klar: »Wenn Ihnen die Aufführungen des Intendanten nicht gefallen, müssen Sie das Haus verlassen.« Also verlässt die Zwanzigjährige das Haus.

Sie entwickelt, sie bewahrt einen instinktiv-klugen Kulturbegriff von sich selbst. Das Spiel atmet, wenn man so sagen darf, höchst präzise Nachlässigkeit: In jedem Schritt Künstlichkeit schleift kräftig Leben nach - und gleichzeitig spielt die Hoffmann haarscharf am Leben vorbei. In jeder Kunstfigur mobilisiert sie einen kernhaften Rest von eigener, unantastbarer Wirklichkeit - die ein fremdes Licht auf die Rolle wirft. Aufs Leben auch. In Mythen-Begriffen würde man sagen: eine Schaum- und Kopfgeburt, gleichermaßen der Vernunft und der Sinnlichkeit entsprungen. Der Eigensinnlichkeit. Hörten wir bei ihr eben noch den silbern mädchenhaften Ton, so ist der im nächsten Augenblick um ein jähes Intervall abgesenkt zu einem fast plärrenden, zuweilen richtig ordinären Schall. Sächsisch touchiert (liebst komisch die Adele Schopenhauer in »Lotte in Weimar«).

Es gibt da also etwas durchaus Unschauspielerisches im Charisma - ohne aber die jeweilige Gestalt mit trübem Alltagsschimmer zu überziehen. Egon Günther hat dieses Wechselspiel, »einzutauchen in die Rolle und wieder herauszukommen«, im Film »Die Schlüssel« (1972/74) zu einem ästhetisch-ethischen Experiment gesteigert, das SED-Kulturpolitik in Nervennöte brachte. Ein DDR-Liebespaar in Krakow, Jaecki Schwarz und die Hoffmann; ihre Ric stirbt, und Regisseur Andrej Tarkowski wird zum DEFA-Regisseur sagen: »Im Grunde hast du eines gemacht: Für die vielen im Krieg von euch Getöteten gibst du jetzt ein deutsches Mädchen zurück. Du opferst sie.«

Hoffmanns Gestalten, ob Arbeiterinnen oder Adlige, Liebessuchende aller Art - sie standen meist, wie man so sagt, mitten im Alltag ihrer Existenz. Es ist der Platz, wo das Zarte zugleich das Zähe sein muss und der Mensch am besten vom Schilf lernt: Das wankt, aber nicht weicht - der Sturm weiß ein sieglos pfeifendes, vergeblich heftiges Lied davon zu singen. Jutta Hoffmann ist in ihrem Werk gleichsam das sehr geschmeidige, äußerst tänzerische, hart arbeitende Schilf. Daher war es logisch, dass ein Buch über sie im Titel ihren Namen trug und dann »nur« diesen Untertitel: »Schauspielerin.« Schnörkelfrei. Als blicke man in einen Berufsausweis. Das kommt jener Vorstellung vom Künstler nahe, wie sie Einar Schleef hatte: nach Probe oder Aufführung ausgelaugt wie ein Schichtarbeiter in der Straßenbahn zu sitzen.

Sie spielte am Theater der Freundschaft, am Deutschen Theater, am Berliner Ensemble. Benno Besson, Manfred Wekwerth, Ruth Berghaus. Noch heute sehe ich sie als Strindbergs »Fräulein Julie« (1974/1975, mit Jürgen Holtz am Berliner Ensemble, Regie: B. K. Tragelehn/Einar Schleef): barfuß über die Stuhlreihen im Saal balancieren - Zuschauerhände fassend, das Theater auf diese Weise nach hinten verlassend. Eine starke Metapher - Willkommen (die Hände im Publikum) und gleichermaßen Abschied (der Gang nach hinten weg). Für diese Arbeit wurden Tragelehn und Schleef des Berliner Ensembles verwiesen.

Und 1978 dann der Fernsehfilm »Geschlossene Gesellschaft« von Frank Beyer und Klaus Poche, mit Armin Mueller-Stahl. Trauerstück aus einem Käfig, der sich Sozialismus nannte, die Gitter aus Propaganda und Tristesse. Dies zu sagen, zu zeigen, das war ein Tabubruch, und so wurde der Film am festgesetzten Sendeabend von Stunde zu Stunde hinausgezögert - bis in die Nachtphase der letzten Schlaflosen. Ein verwalterisches Bubenstück der Volksverdummung und Geistverachtung. Höhepunkt eines klaren Verunglimpfungsplanes auch gegen eine der beliebtesten Schauspielerinnen des Landes (»im Kulturministerium wurde mir gesagt, dass ich mir nicht einbilden müsse, etwas Besonderes zu sein«).

Ab 1979 hat es Jutta Hoffmann für DDR-Zuschauer nicht mehr gegeben. Nicht unterdrückbar zu sein - das bedeutete, zudem im Zusammenhang mit Biermanns Ausbürgerung, künstlerische Isolation. Also: Weggang. Sie hat in Westberlin gespielt, in München, in Hamburg, in Salzburg, in Wien. Und dann das zweite Leben: Professorin für Darstellende Kunst in Hamburg. Ich vermute, ihr Unterricht war Erfahrung: Man erreicht im Spiel gar nichts, wenn man das Unentschiedene des Gefühls missachtet; und wenn man überzeichnet, ehe da gezeichnet wurde. Kunst als Rat fürs Leben: in Ton und Bild nicht zu früh zur Eindeutigkeit verhärten, sondern verfänglich offen bleiben.

Diese Bezaubernde aus dem anhaltischen Ammendorf hat im Film und auf der Bühne alles Damenmädchenhafte betörend, mit einem Überschuss Kobold, ins feine Feurige versetzt. Keck bis in die Seelenspitzen. Der Mut dieses Mädchens, das bei Buna Schkopau im Laientheater begann, begründete einen Adel ganz aus Herkunftsglanz. Da strahlte »Freiheit, die aus fester Tiefe kam« (Volker Braun), und Wolfgang Kohlhaase meinte zu ihrem Spiel: »Es ist wahr, weil es schön ist. Oder ist es schön, weil es wahr ist?«

All das, was an Empfindungen und Gesichten, an Tollheiten und Trostlosigkeiten, an Gescherztem und Geschmerztem, an Unglücksheiterkeit und Glückstraurigkeiten zu spielen war (etwa im 1965 verbotenen Film »Karla« von Hermann Zschoche), das hat die Hoffmann grandios als Anmut dargeboten. Rätselhaft oberflächenklar und zugleich tiefenscharf. Sie ist eine große deutsche Schauspielerin, die jederzeit mit sich ins Reine kam, indem sie nie Gefahr lief, ins Leere zu spielen. Nie Geschrei und Getue. Weder auf einer Szene noch hinter den Kulissen. Ihre »Polizeiruf 110«-Kommissarin Wanda Rosenbaum musste rasch am Anspruch dieser Spielerin scheitern: Diese Frau taugt nicht fürs Balancieren zwischen Medien und Märkten, dazu fehlt ihrem Können jede Kälte, jede schauspielerische Sorglosigkeit. Es ist immer der Charakter, der Außenseiterschaft befestigt.

Sie ist eine wunderflirrende Königin des Spiels, ihr Königtum kommt aus den Nebenstraßen der Provinz, daher jene hinreißende Beredsamkeit, wie sie den Naiven eigen ist, die ebenso hinreißend keck, unverblümt und also furchteinflößend sein können. Beglückend: Die Welt ist nicht verloren, solange die Kindlichen gefürchtet werden. Wegen ihres Selbstbewusstseins, das in der Schwebe lässt, ob es gerade Schild oder Schwert ist. Heute wird sie 75, die wunderbare Jutta Hoffmann.

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