»La rivoluzione siamo Noi«
»Beuys und Italien« in Heilbronn
Schon manch einem hat die Reise in den Süden neue Lebensperspektiven eröffnet. Auch jenem Luftwaffensoldaten aus Krefeld, der 1943 zur Ausbildung ins apulische Foggia abkommandiert wurde. Auf dem Fliegerhorst an der unteren Adria soll er einem Brief zufolge den Entschluss gefasst haben, Bildhauer zu werden. Der Rest ist Geschichte: Aus der Bildhauerei wurde die soziale Plastik, aus dem ehemaligen Luftwaffenoffizier Joseph Beuys der wahrscheinlich einflussreichste deutsche Künstler des vergangenen Jahrhunderts.
Was man mit dem Schamanen vom Niederrhein in Verbindung bringt, sind zuvorderst die Motive und Mythen des Nordens. Eichen und Filzdecken, keltische Kreuze und Rodelschlitten. Doch nun lässt die Heilbronner Kunsthalle Vogelmann aufhorchen, indem sie den Meister der Fettecken von einer überraschend anderen Warte aus in den Blick nimmt: Unter dem Titel »Beuys und Italien« versammelt die Zweigstelle der Städtischen Museen über hundert Exponate, in denen die lebenslange Auseinandersetzung des Künstlers mit mediterraner Kultur deutlich wird.
Zum Auftakt führt die von Rita E. Täuber kuratierte Schau dorthin, wo alles begann. Schon während der Militärzeit in Apulien unternahm Beuys mit Landschaftszeichnungen und einem eher ungelenken Zypressenaquarell erste künstlerische Gehversuche. Ursprünge, auf die er stets gern zurückkam. Noch in den 1950er Jahren in Deutschland entstehen mediterran anmutende Gebirgszüge und Vulkane. Eines der besseren Blätter aus den apulischen Tagen wird der Künstler später zu einer ungewöhnlich idyllischen Lithografie verarbeiten.
Mit wachsender Bekanntheit in seiner Heimat nimmt man den eigenwilligen Akademieprofessor aus Düsseldorf bald auch jenseits der Alpen zur Kenntnis. So erscheint etwa das skurrile Hörwerk der »Jajajaneeneenee«-Performance als Auflagenobjekt im Mailänder Verlag von Gabriele Mazzotta. Zum Schlüsselereignis wird indes die Begegnung mit dem neapolitanischen Kunsthändler Lucio Amelio. Über dessen Galerie, die auch Andy Warhol vertrat, gelang es Beuys, weitere Kontakte zur italienischen Avantgarde zu knüpfen, insbesondere zur Arte Povera. Schließlich empfanden die Vertreter der »armen Kunst« den Deutschen wegen der gemeinsamen Vorliebe für einfache Alltagsmaterialien als Wahlverwandten. Bis zu seinem Tod 1986 verbucht die Biografie des Künstlers über dreißig Ausstellungen beziehungsweise aktionistische Auftritte in Italien - so viel wie nirgendwo sonst außerhalb Deutschlands.
Immer häufiger schreibt, denkt und doziert Beuys in den 70er und 80er Jahren auf Italienisch. Seinem bekanntesten Leitsatz »La rivoluzione siamo Noi« (»Die Revolution sind wir«) begegnet man überall in der Ausstellung. Nicht nur auf dem berühmten Plakat zur gleichnamigen Schau bei Amelio. Mit seinem Schlachtruf überkritzelt Beuys auch die antikisch-homoerotischen Fotomotive, die der Deutschsizilianer Wilhelm von Glöden um 1900 in Taormina aufnahm und zu Postkarten umfunktionierte. Anders als der mecklenburgische Aristokrat wollte der Kunstrebell aus dem Rheinland weg vom sonnensüßen Italienkitsch und zurück zu den agrarischen Wurzeln des Landes.
Im Abbruzzenstädtchen Bolognano bekam der Mitbegründer der »Grünen« erstmals Gelegenheit, sein Engagement in Sachen Ökologie künstlerisch-praktisch anzuwenden. Unterstützt von einem italienischen Landbesitzerehepaar, rief er eine »Rinascita dell’ agricoltura« (Wiedergeburt der Landwirtschaft) aus, kelterte 1000 Flaschen Montepulciano-Wein, versah sie mit dem Etikett seiner »Free International University« und begann 1978 eine kollektive Pflanzaktion, die zum Testlauf wurde für das legendäre 7000-Eichen-Projekt auf der Documenta.
Nicht nur mit Spaten, Spitzhacke und anderen Materialreliquien aus diesem Umfeld ist die Heilbronner Schau ein Muss für Beuys-Jünger. Ihr reicher Bestand an Text- und Fotodokumenten schließt auch viele Wissenslücken über den Künstler und seine komplexe Denkwelt. Gleichwohl lässt der vor allem archivarische Ansatz den über drei Etagen geführten Parcours für Laien etwas trocken werden. Zeitschriften, Kataloge und Plakate sind schön und informativ, die Faszination des Beuys’schen Oeuvres beruht aber auf der Präsenz von Material und Objekt. Insofern schmerzt es, dass von den großen italienischen Rauminstallationen nur der Fragilraum »Terremoto in Palazzo« zu sehen ist. Darin reagierte der Künstler auf das Erdbeben von 1980, dem in Süditalien rund 3000 Menschen zum Opfer fielen. Mit einem Scherbenhaufen und Holztischen, die auf Gläsern balancieren, führt das allegorische Ensemble die Instabilität der menschlichen Existenz vor Augen. Über den konkreten historischen Anlass hinaus artikuliert das Palasterdbeben aber auch die grundsätzliche Anziehungskraft, die das Chaos für Beuys besaß. »Alles, was ich hier gearbeitet habe«, bekannte er einmal, »steht mit der Katastrophe in Beziehung, die ein permanenter Zustand des Südens ist.«
Daneben entdeckte Beuys aber auch das Denken der Renaissance, namentlich das Leonardos. Exemplarisch verkörperte das Genie aus Vinci jene Einheit von Kunst und Naturwissenschaft, wie sie Beuys mit seinem eigenem Schaffen anstrebte. Sei es mit botanischen Studien, sei es mit der skurrilen Physik der »Capri-Batterie«: eine knallgelbe Glühbirne, angeschlossen an eine sonnengereifte Zitrone. Im Medium der künstlerischen Kleinplastik sind Natur und Technik farbenfroh versöhnt. Bella Italia!
Joseph Beuys und Italien, Kunsthalle Vogelmann, Heilbronn, Bis 29. Mai.
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