Was uns alle vereint

Notizen von der Buchmesse Leipzig

Was haben Abbas Khider, Shida Bazyar, Pierre Jarawan und Luna Al-Mousli gemeinsam? Sie leben in zwei Welten, in zwei Kulturen, haben Fluchtgeschichten zu erzählen. Khider, in Bagdad geboren und einer der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautoren, erzählt in seinem jüngsten Buch »Ohrfeige« eine Odyssee nach Deutschland. Bazyar, geboren in Deutschland als Kind iranischer Eltern, schildert in ihrem Debütroman »Nachts ist es leise in Teheran« die Flucht einer jungen Familie und die Sehnsucht nach der Heimat in er Fremde. Der in Deutschland gefeierte Slam-Poet Jarawan lässt den Helden seines Buches »Am Ende bleiben die Zedern« nach dessen Wurzeln in Libanon suchen. Die in Syrien und Österreich aufgewachsene Al-Mousli denkt in »Eine Träne. Ein Lächeln« wehmütig an ihre einst schöne und jetzt so geschundene Stadt Damaskus.

Was eint Rumena Buzarovska aus Mazedonien, Ervina Halili aus Kosovo, Kristian Novak aus Kroatien, Dragana Tripkovic aus Montenegro, Petr Matovic aus Serbien, Tanja Slijivar aus Bosnien und Gorna Vojnović aus Slowenien? Sie waren Kinder im Alter von drei bis 13 Jahre, als das Land ihrer Geburt, zerfiel. Sie diskutierten, was es für Menschen bedeutet, deren Heimatländer trotz existenzieller Not und drastischer Menschenrechtsverletzungen als sicherer Herkunftsstaaten deklariert und sie gnadenlos abgeschoben werden. »Enttäuschung Europa« hieß denn auch ein Forum.

Was verbindet Katja Kipping und Michael Lüders? Die Linkspolitikerin fragte am Stand von »neues deutschland« und auf einer Veranstaltung der »Leipziger Volkszeitung« ihr Publikum: »Wer flüchtet schon freiwillig?« (so auch der Titel ihres Buches). Sie verwies wie auch der Islamwissenschaftler Lüders (»Wer den Wind sät«) auf die Verantwortung des Westens für die gegenwärtige Flüchtlingsdramatik - durch arrogante und ignorante Einmischung und militärische Abenteuer im Nahen und Mittleren Osten.

György Dragomán, einem der renommiertesten Schriftsteller Ungarns, war anzusehen, dass er unglücklich ist. Er schäme sich für sein Land, exakter: für die Regierung Orbán und gewisse Kreise der ungarischen Gesellschaft. Der Literat verwies seine Zuhörer darauf, dass die Ablehnung und Feindschaft gegen die Muslime einherginge mit der Ablehnung und Feindschaft gegen alles vermeintlich Fremde, gegen jede Form von Anderssein - wie derzeit in seiner Heimat gegen Homosexuelle, Juden, Roma, kritische Medien und linke Oppositionelle.

Dass Zuwanderung stets einen Zugewinn bringt, erläuterte der »taz«-Redakteur Christian Jakob (»Die Bleibenden. Wie Flüchtlinge Deutschland seit 20 Jahren verändern«). Die Migranten hätten, so Jakob, die Bundesrepublik verändert, modernisiert, bereichert. »Sie haben nicht akzeptiert, dass Deutschland kein Einwanderungsland sein wollte.« Und es hat Deutschland gut getan.

Flucht, Fluchtursachen und solidarische Asylpolitik, schnellstmöglich Beendigung der Kriege sowie Eindämmung und Zurückdrängung rechter Populisten und Gewalttäter europaweit - das sind die dominierenden Themen der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Sie kamen schon zur feierlichen Eröffnung im Gewandhaus zur Sprache. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, klagte: »Schon lange war die geopolitische Lage nicht so fragil wie zurzeit.«

Riethmüller appellierte an die Autoren, Verleger, Buchhändler und Journalisten, ihre Verantwortung für Meinungsbildung und Meinungsfreiheit wahrzunehmen und die Meinungsführerschaft nicht denen zu überlassen, »die unsere einzigartige Demokratie beschädigen wollen, die die Werte unserer Verfassung und Europas wie die Würde des Menschen und die Freiheit des Einzelnen beschränken wollen. Das dürfen wir nicht zulassen!«

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -