Nicht jeder hat Drachen
»Game Of Thrones«: Die fünfte Staffel gibt es jetzt auf DVD, die sechste Staffel startet im April
Bleibt John Snow wirklich tot? Diese Frage wird unter Fans von »Game of Thrones« eifrig debattiert. Der Kommandant der Nachtwache im kalten Norden wurde - Achtung Spoiler! - am Ende der fünften Staffel von xenophoben Putschisten erstochen, die es missbilligten, dass er Flüchtlinge die Eismauer passieren ließ. Eine Chance auf Auferstehung hätte er, aber nur mit Hilfe einer Priesterin, die mit ähnlichen Methoden wie der »Islamische Staat« arbeitet.
Es gibt Zauberei, Drachen und weiße Wanderer (so etwas wie Eiszombies) bei »Game of Thrones«, der Serie, die auf George R. R. Martins Epos »A Song of Ice an Fire« beruht. Fantasy also, aber trotz der magischen Elemente kommt »Game of Thrones« der sozialen Realität vorkapitalistischer Klassengesellschaften näher als viele Verfilmungen historischer Stoffe, bei denen allzuoft kostümierte Liberale den Fortschritt gegen die Mächte des Bösen erkämpfen müssen.
Fortschritt ist weder im feudalistischen Westeros noch in den auf der Sklaverei basierenden Stadtstaaten von Essos vorgesehen. Bei »Game of Thrones« bestimmt die Klassen- und Standeszugehörigkeit das Denken und Handeln, nur in diesem Rahmen gibt es Entscheidungsfreiheit. Und bei persönlichen Entscheidungen spielen Leidenschaften und archaische Ehrbegriffe eine wichtige Rolle. Dementsprechend ambivalent sind die Charaktere, auch jene, mit denen wir fiebern.
Arya Stark, zu Beginn der Handlung die elfjährige Tochter eines großen, aber nun verfolgten Adelshauses, muss sich in Bürgerkriegszeiten auf der Straße durchschlagen, tötet, nicht immer in Notwehr, mehrere Menschen und entschließt sich, das Handwerk des Mordens in einem Todeskult zu lernen. Und doch dürfte es wohl keinen Fan geben, der nicht hofft, dass die jugendliche Intensivtäterin das Ende der Serie erleben möge. Auch Tyrion Lannister, den kleinwüchsigen Sohn eines großen Adelshauses, will man nicht sterben sehen. Für den Mord an seinem Vater hatte er ja einleuchtende Gründe. Er erwürgt bei dieser Gelegenheit allerdings auch seine ehemalige Geliebte, die Prostituierte Shae. Mit ihr hätte Tyrion ein anderes Leben führen können, aber die Macht eines Lannister wollte er nun mal nicht aufgeben.
Schade um Shae, aber sei’s drum. Das »Game of Thrones«geht weiter, und Tyrion berät nun die Frau, die vielleicht doch so etwas wie Fortschritt bringen kann: Daenerys Targaryen, die auf Essos mit einigem Erfolg gegen die Oligarchie der Sklavenhalter gekämpft hat und nun auf Westeros das Chaos der Adelsherrschaft durch ihren aufgeklärten Absolutismus ersetzen will. Zuvor aber muss sie ihre Drachen dazu erziehen, nur die Menschen zu verbrennen und zu fressen, die verbrannt und gefressen werden sollen. Und dann sind da ja auch noch die gefährlichen weißen Wanderer im Norden, die mit dem nahenden Winter kommen...
»Winter is coming« - auch wer die Serie nicht kennt, hat davon wohl schon einmal gehört. »Game of Thrones« gehört zu Populärkultur. Begeisterte Eltern nennen ihre Kinder Arya oder Tyrion, und vermutlich weniger begeisterte Politiker wie etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie mit den zwielichtigsten Figuren der Serie identifiziert werden.
Gut produziert und herausragend besetzt sind auch andere HBO-Serien. Doch bei »Game of Thrones« faszinieren nicht allein die Erzählung und die Charaktere. Der düstere Grundton passt zur Stimmung der Zeit. Mit wohligem Schaudern entdecken wir in einer blutgetränkten Fantasy-Welt unsere eigene wieder, da ein beachtlicher Teil der Psychopathologie der Klassengesellschaft zeitlos ist.
Uns fehlt leider die Magie, bei »Game of Thrones« immerhin bleiben nicht alle Toten tot. Es besteht also Hoffnung, dass Snow und Targaryen am Ende zusammenkommen. Man ahnt jedoch, dass sie nicht gemeinsam bei einer Traumhochzeit das Lied von Eis und Feuer anstimmen werden, während die Drachen im Burggarten die Würstchen grillen und die weißen Wanderer das Bier kühlen. Ende April, wenn die sechste Staffel anläuft, erfahren wir ein bisschen mehr. Das ist die gute Nachricht: Spring is coming.
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