Er ist sich keiner Schuld bewusst und erschien mit Hitler-Gruß vor Gericht. Weil seine Haftbedingungen angeblich gegen die Menschenrechte verstoßen. Auch wenn es schwer fällt, auch dieses Ekel hat Menschenwürde verdient.
Anders Breivik hat Menschenrechtsklage eingereicht. Er fühlte sich isoliert und nicht nach humanitären Bedingungen inhaftiert, seine Menschenrechte würden nicht respektiert. Also tagt nun ein Gericht, um die Vorwürfe zu prüfen. Am Tage, da die Medien verstärkt über die Beschwerden des Massenmörders berichteten, konnte ich via Facebook rege Empörung wahrnehmen. Seine Opfer hätten auch keine Wahl gehabt, las ich da. Wie käme er also nun auf den Trichter, dass es ihm besser ergehen sollte, als allen seinen Opfern? Mitleid könne er keines erwarten. Und Menschenwürde? Wo war sie denn, als er in Massen tötete? Es war mal wieder zum Erschaudern, ich habe – was in der Natur meines Wesens liegt – viele linke Sympathisanten unter meinen »Freunden« und Followern. Und dennoch galoppiert hier diese Haltung, die ins tiefe Mittelalter gehört.
Kerkerhaft und Ketten gehören zum Glück eigentlich nicht mehr zur Realität im Strafvollzug. Doch selbst in aufgeklärten Köpfen haben kaltblütige Täter offenbar nach wie vor ein dunkles Verlies verdient. Zwischen Mittelalter und Aufklärung liegt oft nur ein Klick auf »Gefällt mir« oder ein vor Wut getipptes Statement. Der Stolz auf eine Gesellschaft, die ihre Kriminellen nicht mehr an den Pranger stellt, lyncht, an Wände schmiedet oder für alle Zeiten in einem modrigen Loch verrotten lässt, scheint immer dann zu schwinden, wenn der Delinquent politisch nicht auf der eigenen Linie liegt. Da unterscheiden sich Linke wie Rechte kaum, sie hoffen auf schwerste Haftbedingungen, auf Leid und Schmerz. Rache eben. Etwas, was der moderne Strafvollzug als Antrieb nicht mehr kennen sollte. Resozialisierung und eine zweite oder dritte oder vierte Chance blendet man dann plötzlich aus. Klar, dass diese hehren Ziele nicht immer in greifbarer Nähe sind. Aber falls nicht, ist der Inhaftierte trotzdem noch ein Mensch. Einer, den man ablehnt und nicht leiden kann, ja vielleicht sogar hasst. Ihn aber nicht der Folter zu übergeben, das ist eine Zivilisations- und Kulturleistung.
Letzteres ringt uns die philosophische Aufklärung als ihr Erbe ab. Sie ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Abgedroschener Spruch des Königsbergers, aber halt immer noch zutreffend. Mündigkeit kriegt man nicht geschenkt, eine Gesellschaft aufgeklärter Subjekte ist kein Rachefeldzug. Man muss tolerieren und Kompromisse eingehen, muss akzeptieren, dass auch schlechte Menschen eine unveräußerliche Würde besitzen. Ja, alleine die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies reicht demgemäß schon aus, um – vereinfacht gesagt - als Mensch behandelt zu werden. Auch die Würde des Neonazis ist unantastbar. Selbst wenn er im Wahn seiner Weltanschauung mehrfach tötete.
Zu guter Letzt ist es doch so, dass Breivik ja im gewissen Sinne richtig läge mit seiner Ablehnung einer aufgeklärten Gesellschaft. Denn eine solche, die es theoretisch für völlig legitim hält, Häftlinge in Verliese zu sperren oder weißer Foltermethoden zu unterziehen, die ist nicht wirklich das, was sie vorgibt zu sein. Besonders solchen Ekeln wie diesem Mann sollte man mit ordentlichen Haftbedingungen und sittlicher Aufgeklärtheit begegnen, die er der Allgemeinheit verweigert hat und weiterhin verweigert. Als Beweis dafür, dass Liberalismus und Offenheit, die er so drastisch ablehnte, eben doch ein richtige Ansatz sind.
Der Begriff der menschlichen Würde ist bedingungslos. Das Menschsein reicht aus, um im Rahmen dieses Konzepts behandelt zu werden. Menschen mit widerlichen politischen Ansichten darf man daher nicht ruppiger anfassen oder in Kerker werfen. Wer das als aufgeklärter Mensch fordert, unterscheidet sich nur marginal von jenen, die wir Europäer gerne kritisieren. Von Leuten wie Trump oder Bush. Justiz ist kein Rachefeldzug, Inhaftierung keine Schadenfreude und Sadismus. Es sind nicht nur die Neonazis, die unsere Gesellschaft verrohen; manchmal sind es ganz normale Bürger, die Haftbedingungen unter Qualen für bestimmte Täter herbeisehnen, die ihr Quäntchen dazu beitragen.