Gemeinsame, schwierige Sache

Vielerorts in Europa setzen sich Geflüchtete zur Wehr – teilweise mit Unterstützung von links. Das ruft auch Empörung hervor, Helfer werden als »radikale Migrationsideologen« tituliert

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Empörung war der kleinen Meldung im griechischen Boulevardblattes »To Proto Thema« anzumerken: Während die SYRIZA-geführte Regierung in Athen mit der Zahl der Geflüchteten immer noch nicht klarkomme, würden nun offenbar linke »Randgruppen die Sache in die eigenen Hände« nehmen. Was die Zeitung meint: In den vergangenen Wochen haben Aktivisten aus der linken Szene in der griechischen Hauptstadt mehrere Universitätsgebäude besetzt - und sie als Unterkünfte an Geflüchtete übergeben.

Auf Fotos der Besetzungen sind Zelte zu sehen, die auf Fluren aufgeschlagen wurden. Menschen haben sich Kochecken und einige private Nischen geschaffen. »To Proto Thema« schreibt, die linken Aktivisten hätten die Studierenden und Hochschullehrer »unter Androhung von Gewalt entfernt«. Belege bringt das Blatt dafür nicht, teilt aber zugleich mit, dass auch die Regierung noch nicht auf die »willkürliche Umwandlung einer aus Steuermitteln finanzierten Bildungseinrichtung in ein Flüchtlingslager reagiert« habe.

Die Besetzer von Athen haben ihre Aktionen nicht allein mit der »Flüchtlingskrise« begründet, die in Wahrheit eine Krise der Solidarität und der politischen gewollten Abschottung ist – Griechenland hat derzeit als eines der schwächsten Glieder in der EU-Kette eine Menge an Folgen zu tragen. Denn für Zehntausende, die in dem Land festsitzen, verspricht auch der umstrittene Deal mit dem autoritären Regime in der Türkei keine Hoffnung.

Immer wieder haben Geflüchtete deshalb in den vergangenen Tagen und Wochen gegen die unwürdige Behandlung protestiert, die ihnen widerfährt. Sie glauben den Ankündigungen der Behörden nicht mehr, die rund 12.000 Migranten aus Idomeni angeboten haben, sie in besser ausgestattete Unterkünfte zu transportieren. Jedes Gerücht, das Aussicht auf eine kurze Öffnung der Grenzen Richtung Westen verspricht, mobilisiert Hunderte – und dann meist auch die Polizei.

Am Sonntag stoppten griechische Sicherheitskräfte auf der Autobahn von Thessaloniki zur mazedonischen Grenze mehrere Busse – und setzten dort Mitglieder und Sympathisanten der griechischen autonomen »Bewegung gemeinsam gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung« fest. Sie wollten die Geflüchteten in Idomeni in ihrer Forderung nach Öffnung der Grenze unterstützen.

Ein anderes Beispiel: Seit Monaten helfen Freiwillige aus Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik im »Dschungel« von Calais, wo viele Geflüchtete seit Monaten gestrandet sind. »Die humanitäre Hilfe ist in Calais also unmittelbar verschränkt mit der direkten Unterstützung der Geflüchteten im Kampf für ihre Rechte und ein menschenwürdiges Leben«, heißt es im Tagebuch von Unterstützern. »Weil wir nicht länger zuschauen können, wie die Staaten Europas Hunderttausende Menschen auf ihrer Flucht physisch und psychisch zugrunde richten, werden wir die Selbstorganisation und die politischen Kämpfe der Geflüchteten in Calais unterstützen.«

Zurück nach Griechenland. Nachrichtenagenturen behaupteten, dass in Idomeni »sogenannte Aktivisten immer wieder den Migranten empfahlen, Straßen zu blockieren, um die internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen«. Die »Frankfurter Allgemeine« verstieg sich vor einigen Tagen sogar zu einem Kommentar, in dem »radikalen Migrationsideologen« vorgeworfen wurde, »die Flüchtlinge in Idomeni als Werkzeug dafür zu nutzen, Grenzschutz als eine Form von Staatsterrorismus darzustellen« - von der Antifa über Flüchtlingsräte bis hin zu Vereinen, die sich für ein Bleiberecht für alle engagieren, wurde kurzerhand alles in einen Topf gerührt: Von »linker Pegida« war in dem Blatt sogar die Rede.

Als es am Osterwochenende wieder Unruhe im Lager an der Grenze zu Mazedonien gab, zog die Deutsche Presse-Agentur ohne Belege eine Verbindung zu Äußerungen des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linkspartei, der erklärt hatte, sein Bundesland könnte bei einer »koordinierten Aktion mehrerer Bundesländer« 1.000 bis 2.000 Flüchtlinge aus Idomeni aufnehmen. »Ob die Gerüchte in Idomeni auf diese Äußerungen zurückgingen, ist unklar«, so die Nachrichtenagentur. Ebenso gut hätte es sich um Hoffnungen der Geflüchteten handeln können, genährt von einem Angebot der linksregierten spanischen Metropole Barcelona, die sich ebenfalls bereiterklärt hatte, Asylsuchende aus Griechenland aufzunehmen.

Nun ist es kein Geheimnis, dass sich europaweit linke und Menschenrechtsgruppen für Geflüchtete einsetzen. Die Grenzen zwischen humanitärer Hilfe und Aktivismus verwischen dabei tatsächlich. Vergangene Woche protestierten 300 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen auf Lesbos gegen die Behandlung von Migranten. Auch am Montag kam es dort wieder zu Protesten:

Dutzende Flüchtlinge wandten sich gegen ihre Internierung im Registrierungslager Moria und forderten während eines Besuchs von US-Vize-Außenministerin Heather Higginbottom »Freiheit!« Die Asylsuchenden dürfen das Registrierungslager seit dem 20. März nicht mehr verlassen – sie riefen: »Wo bleiben die Menschenrechte?« Auch Hilfsorganisationen haben den Umgang mit den Geflüchteten scharf kritisiert. In Moria würden Menschen eingesperrt, die »keinerlei Verbrechen begangen« hätten, so der Griechenland-Beauftragte der Organisation Oxfam, Giovanni Riccardi Candiani.

Hilfsorganisationen ziehen damit am selben Strang wie linke und grüne Kritiker der EU-Antiasylpolitik – so wie viele Flüchtlinge selbst. In den vergangenen Wochen haben unter anderem in Thessaloniki, in Idomeni und im französischen Calais Geflüchtete für eine bessere Behandlung protestiert.

In linken Kreisen wird derzeit viel darüber debattiert, wie die Kämpfe der Migranten um Bewegungsfreiheit und besseres Leben mit den sozialen Auseinandersetzungen um Würde, Arbeit und soziale Sicherheit verbunden werden können, die in europäischen Ländern laufen. Auch die Besetzer von Athen haben diesen Zusammenhang hergestellt. Es geht um mehr als bloß die Addition politischer Kämpfe.

Es geht auch um die Frage, wie sich Geflüchtete und Alteingesessene auf Augenhöhe begegnen können – nicht selten ist auch ein Engagement »für« Migranten von einem paternalistischen oder kolonialistischen Verständnis geprägt. Es geht auch um eine neue Idee von Innen und Außen in der Politik – weil die Zustände, vor denen Menschen weltweit fliehen, keine Spezialitäten »der Welt da draußen« sind, sondern viel mehr mit dem Leben und den Machtverhältnissen hierzulande zu tun haben, als in der Rede von den Fluchtursachen, die bekämpft werden müssten, zum Ausdruck kommt.

Bis in die Linkspartei hinein ist das inzwischen zum Thema geworden. Geflüchtete sind Menschen, die sich nicht mit ihrer Lebenslage abgefunden haben – ihre Flucht stelle »den Zustand in den Herkunftsregionen ebenso in Frage wie die Verhältnisse in den Zielländern«, heißt es da etwa in einem Papier aus dem sächsischen Landesverband. Geflüchtete dürften nicht mehr als Objekte eigener Politik begriffen, sondern in ihrer Selbstorganisierung bestärkt und unterstützt werden.

Apropos Besetzungen: Nicht zuletzt in Deutschland hat es in den vergangenen Monaten schon mehrere Versuche gegeben, selbst organisierte Zentren für Geflüchtete und politische Aktivisten zu schaffen. Leer stehende Gebäude sollen dabei mehr ermöglichen als bloß die unmittelbare Lösung der Unterbringungskrise von Asylbewerbern: gemeinsames Lernen, Arbeiten, Politikmachen. Bisher haben die Behörden die Aktionen stets umgehend wieder unterbunden. Anders als in Athen.

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