Drohnenlisten aus der Pfalz
Ein pensionierter Lehrer will die Bundesregierung gerichtlich zwingen, über Ramstein laufende Tötungen Terrorverdächtiger zu untersagen
Wolfgang Jung weiß, was Krieg bedeutet. Der pensionierte Lehrer aus Kaiserslautern hat den Zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt, noch heute träumt der bald 80-Jährige manchmal von den Angriffen der Jagdbomber und nächtlichen Aufenthalten in stickigen Erdbunkern. Sein Vater kam aus sowjetischer Gefangenschaft nicht zurück. Diese frühen Erfahrungen haben in dem Mann eine Überzeugung tief verankert: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.
Jung verabscheut Krieg und lebt doch mittendrin. Er wohnt nur wenige Kilometer von der amerikanischen Air Base Ramstein entfernt, der eine entscheidende Rolle im Drohnenkrieg der USA zukommt. In der Region ist die größte Militärgemeinde außerhalb der Vereinigten Staaten stationiert. Seit vielen Jahren trägt der Pfälzer zusammen, was vor seiner Haustür passiert. Wer etwas über Ramstein wissen will, ist bei seiner Webseite Luftpost an der richtigen Adresse. Dokumentiert ist hier auch seine Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland über die Frage, inwiefern sie durch die Duldung des US-Stützpunkts in Rheinland-Pfalz völkerrechts- und verfassungswidrige Angriffskriege unterstützt. Vier Jahre läuft diese Auseinandersetzung bislang. Ob sie mit diesem Dienstag beendet sein wird, hängt davon ab, ob sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig traut, der US-Regierung auf die Füße zu treten.
Der Flughafen Ramstein in Rheinland-Pfalz ist das größte Luftdrehkreuz der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Jährlich starten und landen hier rund 30 000 Maschinen. Von Ramstein aus wird nicht nur der gesamte Flugverkehr der US Air Force in und nach Europa, sondern bei gemeinsamen Militäreinsätzen auch der militärische Flugverkehr der beteiligten NATO-Partner kommandiert. Außerdem soll die Kommandozentrale für den umstrittenen Raketenabwehrschild auf Ramstein eingerichtet werden.
Für den Drohnenkrieg der USA ist die Air Base zentral. Denn dort steht die Satellitenstation, mit der die Signale von den Drohnenpiloten in den USA übermittelt werden. Ramstein ist die Schnittstelle zur Planung und Steuerung der Kampfdrohneneinsätze gegen mutmaßliche Terroristen in Afrika und im Nahen Osten.
Der Drohnenkrieg der USA begann nach dem 11. September 2001, die »gezielte Tötung« durch unbemannte Flugobjekte wurde aber erst unter Präsident Barack Obama massiv ausgebaut. Er erlaubte schließlich sogenannte signature strikes, bei denen Personen, von denen nicht einmal der Name bekannt sein muss, getötet werden dürfen, wenn sie verdächtig erscheinen und sich wie Terroristen verhalten. Laut dem britischen Büro für investigativen Journalismus sind bis heute bei Drohnenangriffen in Pakistan, Jemen, Somalia und Afghanistan bis zu 5600 Menschen umgekommen, davon rund 1200 Zivilisten. nd
Angefangen hat es mit Anträgen an das Bundesverteidigungsministerium. Anfang 2012 verlangte Jung Auskünfte über Flugbewegungen im Zusammenhang mit Militäraktionen in Afghanistan und forderte, jedwede Unterstützung für derartige militärische Operationen zu unterlassen. Das Verteidigungsministerium ließ ihn abblitzen. Für das Bundesverwaltungsgericht haben er und seine Anwälte die Klage eingegrenzt auf den Drohnenkrieg, der via Ramstein weltweit gesteuert werde. Sie wollen die Bundesregierung verpflichten, die per Mausklick angeordneten Todesurteile zu überwachen oder gänzlich zu untersagen. Denn im Krieg dürfen nur Kombattanten getötet werden, nicht aber Zivilisten. »Die zivilen Opfer sind die große Schwachstelle dieser als zielgenau angepriesenen Waffe«, erläutert Rechtsanwalt Peter Becker, der die Klage Jungs vor Gericht vertritt. Aus diesem Grunde werden auch offizielle Zahlen, in welchem Umfang Unbeteiligte durch amerikanische Drohnenpiloten abgeschossen werden, geheim gehalten.
Alles, was man über Ramstein weiß, ist Recherchen von Medien zu verdanken und Aussagen von Insidern. Sie belegen, dass über die dortige Satellitenstation Drohnenangriffe ausgeübt werden, die regelmäßig zivile Opfer fordern. Getroffen wurden Hochzeitsgesellschaften und eine Trauergemeinde, die ein Drohnenopfer beerdigte oder auch der 16-jährige Sohn eines angeblichen islamistischen Führers. Rechtsanwalt Becker ist überzeugt: »Ohne Ramstein wäre die Drohnenkriegführung unmöglich.«
Doch die Bundesregierung behauptet, nichts zu wissen und verweist statt dessen auf Erklärungen der Vereinigten Staaten: Von ihren Stützpunkten in Deutschland würden Drohnenangriffe weder geflogen noch gesteuert. Becker ist gleichwohl überzeugt, dass die Regierung mehr weiß, als sie zugibt. Er entnimmt das ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen, die wachsendes Unbehagen erkennen ließen, außerdem seien die Deutschen über den Bau der Satellitenstation informiert gewesen. Details über die Abläufe weiß man auch durch Verbindungsoffiziere der Bundeswehr, die auf der Air Base Ramstein eingesetzt sind oder waren. Sie sind in dem Verfahren als Zeugen benannt, genauso wie der ehemalige »Drohnenpilot« Brandon Bryant, der vor Kurzem im NSA-Untersuchungsausschuss vor dem Bundestag aussagte. Ihm zufolge werden die Todeslisten von deutschem Boden aus erstellt. »Jedes einzelne bisschen an Dateninformation, das zwischen Flugzeug und Mannschaft übertragen wurde«, laufe über Ramstein. Hier wird das Satellitensignal aus Afghanistan oder Pakistan besser empfangen, die Bilder werden dann über Glasfaser weiter in die USA geleitet. Dort sitzen die Piloten am Bildschirm und lenken die unbemannten, bewaffneten Drohnen in den Ländern, in denen sie Terroristen vermuten. Nach Erkenntnissen der Stiftung New America, die solche Angriffe auswertet, haben die US-Streitkräfte auf diesem Wege bereits »Tausende Menschen« getötet. US-Präsident Barack Obama räumte nun erstmals ein, dass in der Vergangenheit bei Drohnenangriffen auch Unschuldige getötet wurden. Es gebe »keinen Zweifel, dass Zivilisten getötet wurden, die nicht getötet werden sollten«, sagte Obama am Freitag in Washington.
Die gegen die Bundesrepublik gerichtete Klage stützt sich auf eine weithin unbekannte Vorschrift des Grundgesetzes. In Artikel 25 heißt es, dass die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts Bundesrecht sind, mithin auch das Gewaltverbot der UN-Charta. Das werde aber verletzt, weil mit den Drohnen nicht nur Kombattanten, sondern auch Zivilisten getötet werden. Nach dieser Bestimmung, so Anwalt Becker, können einzelne Bürger im eigenen Namen die Verletzung ihrer Rechte geltend machen. In Leipzig wird es daher auch um die Gefahr gehen, als Anwohner von Ramstein Opfer eines Terrorangriffs oder Flugzeugabsturzes zu werden.
In einer Vorinstanz wurde diese Rechtsgrundlage zwar anerkannt, nicht jedoch, dass Wolfgang Jung persönlich betroffen ist. Nicht zum ersten Mal müssen sich deutsche Gerichte den Vorwurf gefallen lassen, in außenpolitischen Konflikten klare Worte zu scheuen. »Die Rechtsprechung versucht, sich um eine Befassung mit der amerikanischen Drohnenkriegführung herumzudrücken, auch wenn dadurch Kriege von deutschem Boden aus geführt werden«, moniert Becker. Sollte das so bleiben, wollen sie bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg weiter klagen.
Friedensaktivisten wollen Jung im Gerichtssaal unterstützen. Sie machen aber auch politisch Druck und fordern von der Bundesregierung, den USA die Nutzung von Ramstein als Basis zur Drohnenkriegführung zu verbieten. Die Drohnengegner planen für dieses Jahr verschiedene Protestveranstaltungen rund um die US-Militärbasis. Höhepunkt sollen »Stopp Ramstein«-Aktionstage Mitte Juni werden, mit einem Friedenscamp und einer Menschenkette von Kaiserslautern zur Air Base. Wolfgang Jung wird sicher dabei sein.
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