»Ich bin kein Fehleinkauf«
Julian Draxler über Wolfsburgs Chancen gegen Real Madrid und seine persönliche Entwicklung
Was sagen Sie zum Sieg von Real Madrid am Sonnabend im Clásico beim FC Barcelona?
Ich habe es am Abend im Internet-Livestream verfolgt. Real hat am Ende durchaus verdient gewonnen, nachdem sie es nach Rückstand und trotz des Platzverweises von Sergio Ramos geschafft haben, die Partie noch zu drehen. Sie sind vorne einfach brutal stark besetzt und waren vor dem Tor ständig gefährlich. Cristiano Ronaldo hat einmal mehr seine große Qualität unter Beweis gestellt und gezeigt, dass er jederzeit treffen kann.
An diesem Mittwoch muss Wolfsburg versuchen, Ronaldo und Co. zu stoppen. Was geht in Ihrem Kopf vor, wenn Sie an das Spiel denken?
Ich verspüre eine Riesenvorfreude. Dass wir uns das Viertelfinale erarbeitet haben, ist schon ein Riesending für den Verein, und dass wir jetzt noch einen klangvollen Namen wie Real Madrid als Gegner bekommen haben, ist umso schöner. Wir freuen uns auf das Spiel, wir haben nichts zu verlieren. Ich glaube, das ist ein großer Pluspunkt für uns. Das Stadion wird voll sein, das freut uns als Mannschaft sehr. Ich glaube, es gibt nichts Schöneres, als an einem Mittwochabend im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid zu spielen.
Sie haben mit Schalke schon vor zwei Jahren in der K.o.-Runde gegen Real gespielt, am Ende schieden Sie sang- und klanglos mit 2:9 aus. Warum passiert Ihnen ein solches Debakel mit dem VfL nicht?
Garantieren kann man das natürlich nicht. Aber wir haben in der Champions League gezeigt, dass wir auch gegen große Gegner gut spielen können. Wir haben keine Angst vor Real Madrid. Wir haben natürlich einen gehörigen Respekt, wir wissen, dass wir nicht ins offene Messer laufen dürfen. Ich denke nicht, dass uns das passiert, was mir mit Schalke vor zwei Jahren passiert ist, als wir zu Hause gleich das erste Spiel 1:6 verloren haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im eigenen Stadion ein gutes Ergebnis holen.
Was muss passieren, damit Wolfsburg dem großen Favoriten ein Bein stellen kann?
Es muss natürlich viel zusammenpassen. Favorit ist ganz klar Real Madrid, aber wir haben gute Außenseiterchancen, wenn wir auf dem Platz unsere beste Leistung bringen. Wir müssen mental voll da sein, körperlich robust agieren, hinten gut stehen und vorne immer wieder Nadelstiche setzen. Wir haben in der Champions League gezeigt, dass wir Tore schießen können. Wir haben das Zeug dazu, das auch gegen Real Madrid zu schaffen.
Es ist das bislang größte Spiel der Vereinsgeschichte. Spüren Sie die Euphorie?
Seit dem Tag der Auslosung freuen sich die Stadt, der Verein und die Mannschaft auf das Spiel. Real Madrid kommt, im Viertelfinale der Champions League - das hört sich natürlich überragend an. Ein bisschen ist die Vorfreude durch die nicht so guten Ergebnisse in der Liga getrübt worden, aber der Champions-League-Wettbewerb steht für sich, und da ist jeder Einzelne im Verein heiß drauf.
Alle freuen sich auf den Besuch von Cristiano Ronaldo. Ist er jemand, den Sie in früheren Jahren bewundert haben?
Von Cristiano Ronaldo kann man nur beeindruckt sein. Wie er über Jahre hinweg seine Leistungen bringt, was für Tore er erzielt. Einen Spieler wie ihn verfolgt man natürlich immer besonders. Wir hoffen, dass wir ihn in den beiden Spielen so gut es geht in Schach halten können. Am Ende geht es aber um Wolfsburg gegen Real und nicht um Wolfsburg gegen Ronaldo.
Haben Sie schon mit Real-Ikone Raúl gesprochen, zu dem Sie seit gemeinsamen Tagen auf Schalke ein besonderes Verhältnis haben?
Wir hatten gleich nach der Auslosung Kontakt. Er hat mir geschrieben: »Seit wir uns kennen, spielst du jedes Jahr gegen Real Madrid.« Da habe ich ihm geantwortet, dass er natürlich weiß, dass es seine Aufgabe ist, mir Karten für meine Familie fürs Rückspiel zu besorgen. Er hat uns viel Glück gewünscht. Ich weiß nicht, ob er jetzt meinetwegen für Wolfsburg ist. Ich denke, dass sein Herz noch immer für Real schlägt.
Solche Highlight-Spiele wie gegen Real dürften in der kommenden Saison ausbleiben, der Abstand auf die Champions-League-Plätze ist fast uneinholbar. Haken Sie die Königsklasse bereits ab?
Wir bekommen zurzeit in der Bundesliga die Leistung nicht auf den Platz, um international nächste Saison vertreten zu sein. Wir sollten darüber reden, wie wir uns verbessern können und nicht darüber, wie viele Punkte Abstand es noch sind.
Wie bewerten Sie Ihr erstes halbes Jahr in Wolfsburg?
Am Anfang war es nicht einfach. Es war mein erster Vereinswechsel, es gab viele Nebengeräusche. Dazu kam, dass von der Öffentlichkeit erwartet wurde, dass ich nach dem Abgang von Kevin De Bruyne gleich in dessen Fußstapfen trete. Für mich war wichtig, dass ich bislang nicht schwerer verletzt war und nach und nach immer besser in meinen Rhythmus gekommen bin. Deswegen bin ich bislang im Großen und Ganzen zufrieden.
Wie schwer war die Bürde, anfangs immer an den Leistungen von Kevin De Bruyne gemessen zu werden?
Mir war klar, dass der Vergleich gezogen wird. Aber ich habe mich davon nicht beeinflussen lassen. Kevin hatte in Wolfsburg wahrscheinlich die Saison seines Lebens gespielt, von daher war es schwer, rein statistisch gesehen an ihn heranzukommen. Ich glaube, dass ich auf einem guten Weg und in meiner Entwicklung noch lange nicht zu Ende bin.
Nach Ihrer Zwei-Tore-Gala in Gent schwärmte VfL-Manager Klaus Allofs, Sie seien »mit das Beste, was Deutschland zu bieten hat«. Wie gut tat dieses Lob, nachdem Sie anfangs schon als Transferflop bezeichnet wurden?
Ich war weder ein Fehlkauf, noch bin ich der beste Spieler in Deutschland, da kann ich mich schon realistisch einschätzen. Natürlich freut es einen, so etwas zu hören, aber im Fußball ist es nun mal so, dass es im nächsten Spiel schon wieder ganz anders aussehen kann. Davon lasse ich mich nicht mehr beeinflussen.
Ihre ansteigende Formkurve blieb auch Bundestrainer Joachim Löw nicht verborgen, Sie standen in den jüngsten Länderspielen wieder im Kader und haben gegen Italien ein Tor wunderbar vorbereitet. Wie sehen Sie ihre EM-Chancen?
Stand heute ganz gut. Ich habe gezeigt, dass ich mich aus der schwierigen Phase, die ich auf Schalke und anfangs auch in Wolfsburg hatte, rausgekämpft habe und dass mit mir wieder zu rechnen ist. Der Bundestrainer wird noch einige Spiele beobachten und dann seine finale Entscheidung treffen.
Sie wollten in Wolfsburg auch persönlich reifen? Ist Ihnen das gelungen?
Es ist wichtig, mal von zu Hause rauszukommen, neue Leute kennenzulernen, neue Trainer, ein neues Umfeld. Ich denke, das ist ganz wichtig für einen Fußballer, wenn man sich weiterentwickeln möchte. Für mich war der Wechsel ein guter Schritt nach vorne, ich würde es immer wieder so machen.
Sie haben sich auch weniger Trubel als im hektischen Umfeld auf Schalke gewünscht. Wie lebt es sich als Nationalspieler in Wolfsburg?
Fakt ist, dass es in Wolfsburg etwas ruhiger zugeht als auf Schalke. Das war für mich in der Phase, in der ich mich befunden habe, ein schöner Nebeneffekt. Das Druck aufkommt, wenn du in der Bundesliga nur auf Platz acht oder neun stehst, ist klar. Davor wollte ich aber auch gar nicht weglaufen. Es ging darum, dass ich nach zwei schwierigen Jahren auf Schalke mit einer schweren Verletzung das Gefühl hatte: Ich brauche etwas Neues.
Aber auch in Wolfsburg gibt es Trubel, zuletzt sorgten Max Kruse und Nicklas Bendtner bundesweit für Schlagzeilen. Wie geht die Mannschaft mit den privaten Turbulenzen von Max Kruse um?
Das ist für uns kein so großes Thema. Was er in seinem Privatleben macht, das bleibt natürlich ihm überlassen. Da haben wir uns als Mannschaftskollegen auch nicht einzumischen. Natürlich muss man als Fußballprofi aufpassen, welches Bild das auf einen selbst und auf den Verein wirft, aber im Endeffekt hat er seine Leistungen auf dem Platz zu bringen.
Wie kann die Mannschaft ihn in dieser Zeit unterstützen?
Ich habe nicht den Eindruck, dass Max das allzu groß belastet, weil er ein lockerer Typ ist, der damit gut umgehen kann. Natürlich gibt es auch für ihn schönere Situationen, aber in ein, zwei Wochen wird da schon nicht mehr so viel drüber geredet werden.
Nicklas Bendtner wurde vom Training freigestellt. Was halten Sie davon, dass ein Spieler mit seinem Talent sich nicht wirklich einbringen konnte oder wollte?
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Fakt ist, dass Nicklas eigentlich ein sehr begabter Spieler ist, der uns auch gut hätte helfen können, es aber aus verschiedenen Gründen nicht geschafft hat. SID/nd
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