Nach dem »Nee«: Streit um Referenden

Politiker wenden sich nach Volksabstimmung in den Niederlanden gegen direkte Demokratie zu EU-Fragen in einzelnen Ländern - Netzwerk hält dagegen: »Der Spiegel ist nicht schuld am Bild«

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Nein der Niederländer in einem Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine machen Politiker gegen direkte Demokratie zu europäischen Fragen Front: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte, ein »Referendum ist kein geeignetes Instrument in einer parlamentarischen Demokratie, um komplexe Fragen zu beantworten. Wenn man Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten«. Die Bürger würden »nicht auf sachliche Fragen« antworten, »sondern erteilen ihren jeweiligen Regierungen Denkzettel«, so Asselborn gegenüber der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte, dass bei dem Referendum in den Niederlanden sozusagen an der Sache vorbei abgestimmt worden sei. »Die Argumente, mit denen das Nein-Lager Wahlkampf und Stimmung gemacht hat, hatten mit vielem zu tun, nur nicht mit dem Inhalt der eigentlichen Frage, nämlich dem Assoziierungsabkommen EU-Ukraine«, wird Schulz von Zeitungen der Funke-Mediengruppe zitiert.

Im »Kölner Stadt-Anzeiger« ging die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms sogar noch einen Schritt weiter: »Plebiszitäre Elemente zu europäischer Politik, die so angelegt sind wie die« Abstimmung in den Niederlanden, könnten »die EU in ihrem Bestand gefährden«. Die Fraktionschefin im Europaparlament wandte sich generell dagegen, in einzelnen Staaten über Fragen abstimmen zu lassen, die die EU insgesamt betreffen. Das Referendum in den Niederlanden habe vor allem eines getan: weitere Schwächen von Plebisziten offengelegt. Konkret: Letztlich hätten nur 18 Prozent der Wahlberechtigten in einem Land »Nee« gesagt - und nun stehe ein Abkommen infrage, »dass alle Regierungen der Mitgliedsstaaten und deren Parlamente unterstützten«. Auch die, so das Argument, seien schließlich demokratisch gewählt.

In den Reihen der Kritiker, die sich nach dem Niederlande-Referendum generell skeptisch über direkte Demokratie äußern, ist auch der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer. Er warnte: »Wer über andere Länder abstimmen lässt, fördert den Nationalismus.« Das Ergebnis der Volksabstimmung zeige zudem, »dass ein Zurückweichen vor Anti-Europäern immer zur Niederlage führt«.

Ganz anders äußerte sich zum Beispiel Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Er begrüßte den Ausgang des Referendums unter anderem mit dem Argument, das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen sei im »Kern ein weitgehendes Freihandelsabkommen«, das zudem »eine militärische Dimension« beinhalte - weshalb die Linkspartei es abgelehnt habe. In der Abstimmung liegt laut Bartsch aber auch eine »Chance für eine Stärkung der Demokratie in Europa«. Die Regierung in Berlin müsse sich fragen lassen, »wie lange sie die Form der direkten Mitbestimmung den Menschen in Deutschland über grundlegende EU-Angelegenheiten weiter vorenthalten will«.

Die Linkspartei selbst habe die Nein-Kampagne der Sozialistischen Partei in den Niederlanden unterstützt, die sich wie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen »klar von der rechtspopulistischen PVV-Kampagne abgrenzt« haben. Wer nun direkte Demokratie kritisiere, weil sich Rechtspopulisten mit dem Ausgang des Referendums schmücken, mache einen Fehler, so Bartsch - mehr noch: »Wer glaubt, Europa weiter gegen den Willen der Menschen aufbauen zu können, fördert rechtspopulistische Bewegungen und wachsende Europaskepsis.«

Kritik an den Stimmen, die nun direkte Demokratie infrage stellen, kommt auch von der Organisation »Mehr Demokratie«. Mit Blick auf »die Wellen der Empörung bei einigen Politik- und Medienvertretern«, heißt es in einer Erklärung von Michael Efler, Ralf-Uwe Beck und Anne Dänner, vermische »sich Kritik an Inhalten, Initiatoren und Ausgang der Abstimmung mit Kritik an direktdemokratischen Verfahren zu EU-Fragen oder gar an der direkten Demokratie allgemein«. Selbst wenn es stimme, dass »der Ausgang des Referendums eine allgemein EU-kritische Haltung offenbart«, werde man diese Haltung »sicher nicht bekämpfen« können, »indem man den Bürgern Mitspracherechte wieder entzieht oder gar nicht erst gewährt«.

Ein Unbehagen über die momentane Verfasstheit der EU lasse sich nicht »der direkten Demokratie in die Schuhe schieben«. Volksabstimmungen seien »ein Spiegel von gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Stimmungen, nicht ihre Ursache«. Wer jetzt direkte Demokratieverfahren dafür verantwortlich mache, argumentiere nach dem falschen Motto: »Wenn mir das Spiegelbild nicht gefällt, zerschlage ich den Spiegel und beschimpfe diejenigen, die ihn aufgestellt haben.«

Gerade auf europäischer Ebene brauche es mehr direktdemokratische Elemente. »Es geht hier um ein Demokratieprinzip, nicht um eine bestimmte Politik«, heißt es in der Erklärung weiter. »Die Gefahr, dass Bürger ihrem EU-Frust Luft machen, wenn es eigentlich um eine konkrete Frage geht, ist doch vor allem dann gegeben, solange sie in der EU-Politik auf die Zuschauerränge verbannt bleiben.« Die Europäische Bürgerinitiative sei als bisher einziges Instrument lediglich eine Bonsai-Variante direkte Demokratie. Die Organisation »Mehr Demokratie« forderte »auch Volksbegehren und Volksentscheide auf EU-Ebene«. mit Agenturen

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