»Geschlossen wegen Mafia«
Im Heimatort von Don Camillo und Peppone wird die Stadtregierung abgesetzt
Es liest sich wie eine Geschichte aus dem tiefen Süden Italiens, aus Corleone, Crotone oder Caserta - der Pate beherrscht die Szene, die lokale Administration führt aus, was die örtliche Mafia wünscht. Wird dies zu auffällig, dann zieht der Staat die Notbremse, setzt Bürgermeister ab und löst Gemeinderäte auf. Über 200 Mal geschah das in den vergangenen Jahren. Doch längst sind Cosa Nostra, ’Ndrangheta und Camorra in den Norden gezogen, agieren in der Emilia Romagna, in Mailand, der Schweiz und in Deutschland.
So auch in Brescello, der kleinen emilianischen Gemeinde am Po. Der Ort mit seinen 5621 Einwohnern ist in der Welt vor allem aus den hier verfilmten Geschichten von Don Camillo und Peppone bekannt.
Nun trat ein weiterer Akteur auf die Bühne, der eigentlich unerkannt bleiben wollte. Francesco Grande Aracri, Bruder des inhaftierten ’Ndrangheta-Bosses Nicolino, und somit nun an der Spitze des Clans. Seiner Aktivitäten wegen musste der Bürgermeister Marcello Coffrini zurücktreten und wurde nach Präsidentendekret der gesamte Gemeinderat aufgelöst.
Dabei ist es nicht unbekannt, dass die Arme der ’Ndrangheta sich längst nach Einflusssphären im Norden ausgestreckt haben. Ob Expo in Mailand oder Stuttgart 21, die Firmen der Clans sind involviert. Und auch Clanboss Francesco Grande Aracri residierte im gar nicht mafiaverdächtigen Münster viel Jahre als Chef eines Tarnunternehmens für Drogen- und Waffengeschäfte sowie Geldwäsche. Bestens liiert mit dem Pelle-Romeo-Clan, der für das Blutbad von Duisburg 2007 verantwortlich zeichnete.
Zu diesem Zeitpunkt war Grande Aracri jedoch bereits nach Italien ausgeliefert: 2005 hatte eine internationale Polizeiaktion einen Drogenring zerschlagen. 150 Kilo Kokain wurden in Rostock in einem aus Venezuela kommenden Kohlefrachter gefunden. Grande Aracri wurde von den deutschen Behörden ausgewiesen und in Italien unter Hausarrest gestellt. Wenig später tauchte er in Brescello auf, im Baugewerbe, wo er vor allem öffentliche Aufträge übernahm. Die kamen vom Bürgermeister Marcello Coffrini - unter der Ägide Ermes Coffrinis, seines Vaters, der bereits 19 Jahre lang Bürgermeister Brescellos war - politisch links orientiert, wie das literarische Vorbild Peppone.
Im Januar dieses Jahres schloss die Antimafia-Direktion von Catanzaro die Ermittlungen gegen den Grande-Aracri-Clan in Sachen Infiltration oberster italienischer Behörden ab. Im Ergebnis der Operation »Kyterion 2« wurden 200 Millionen Euro aus dem Besitz des Clans beschlagnahmt. Darüber hinaus wurde bekannt, dass die ’Ndranghetisti auch versucht hatten, ihre Kontakte zur vatikanischen Kurie auszubauen und Richter des Kassationsgerichts zu kaufen. Umfangreiche Pläne zur Übernahme opulenter Bauaufträge aus öffentlicher Hand konnten die Ermittler beschlagnahmen. Die Untersuchungen dauern an.
Die Bürger Brescellos sind über die Auflösung des Gemeinderates empört, sie fürchten um den Ruf des Ortes und den Tourismus. Mehr als 50 000 Menschen besuchen jährlich Kirche und Rathaus Don Camillos und Peppones. Frage von Journalisten, die derzeit das Gros der Besucher ausmachen, wehren sie ab - für sie ist Grande Aracri ein fleißiger Bauunternehmer, der bescheiden lebt, und die Coffrinis ehrbare Stadtpolitiker.
Und der Nachfolger Don Camillos, Ortspfarrer Don Evandro Gherardi nennt den Clanboss einen »guten Christen«. Die Mafia? Nein, die existiere hier nicht, so die Bürger. Und das, obwohl bereits 2002 der Besitzer des »Cafe Don Camillo« wegen Schutzgelderpressung aufgegeben hatte: »Geschlossen wegen Mafia« war auf dem Schild zu lesen. Heute wird die Bar von eingewanderten Chinesen betrieben.
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