Mal eben JFK retten
Die Mysterie-TV-Serie »11.22.63 - Der Anschlag« um das JFK-Attentat enttäuscht auf ganzer Linie
Es gibt zahlreiche Theorien zum Mord an US-Präsident John F. Kennedy (JFK). Zu den weniger glaubhaften zählt die offizielle: Demnach hat ein dubioser junger Mann mit Kontakten zur UdSSR und der CIA, Lee Harvey Oswald, das Attentat am 22.11.1963 in Dallas im Alleingang geplant und ausgeführt, mit ungeheurer Schnelligkeit und Treffsicherheit und mit Hilfe einer geradezu magischen Kugel - zwei Tage später wurde auch er ermordet. Dem gegenüber stehen Indizien, die auf mehrere Ausführende und auf eine Täterschaft des organisierten Verbrechens im Auftrag von Geheimdiensten und militärischem Komplex hindeuten. Beweisen konnte man bisher keine dieser beiden Haupttheorien. Wer sich jedoch als Skeptiker der Oswald-Theorie offenbart, läuft noch heute Gefahr, in eine Reihe mit Alien-Spinnern oder (besonders abenteuerlich) Nazis gestellt zu werden. Die (durch erheblich mehr Indizien gestützte) »CIA«-Theorie darum als gesichert zu vermelden wäre aber ebenso unseriös wie die billige Diffamierung der Skeptiker.
Dass die neue Mysterie-TV-Serie »11.22.63 - Der Anschlag« um das JFK-Attentat die Einzeltäter-These in den ersten Folgen als die mit Abstand glaubhafteste darstellt und damit eine höchst ungesicherte Geschichtsversion weiter zementiert, muss dann aber doch Zuschauer irritieren, die sich mit dem JFK-Mord beschäftigt haben - auch wenn man kein Freund vorschneller und allzu definitiver Schuldzuweisungen á la Oliver Stone ist, und auch wenn in Halbsätzen der Serie immer wieder Zweifel am dominanten Oswald-Narrativ gestreut werden.
Noch bevor die eigentliche Handlung Fahrt aufnimmt, hat man viel Unlogik zu schlucken. Das wäre bei einem fiktionalen Mysterie-Stoff nicht verwunderlich oder störend. Doch bei einem Politthriller, der sich der übernatürlichen Phänomene nur bedient, um einen realen politischen Mord »aufzuklären«, ist man da nicht ganz so tolerant. Das Wohlwollen, mit der die internationale Kritik diesen ziemlich pietätlosen Quatsch aufnimmt, ist da wirklich bemerkenswert.
Bereits die Grundanordnung ist mehr als eine Spur zu kindisch und einem realen Verbrechen unangemessen: In der Abstellkammer eines US-Kleinstadt-Diners befindet sich ein Zeitkanal. Wer hineingeht, wird immer am exakt gleichen Datum ausgespuckt - am 21. Oktober 1960, zurück geht es ebenso. Al (Chris Cooper), der väterliche Besitzer des Ladens, nutzt diese Trips seit Jahren. Er folgt Oswald (aber eben nur ihm), um sich dessen Täterschaft ganz sicher zu sein - dann will er ihn töten, um den Vietnamkrieg zu verhindern.
Jetzt ist Al todkrank und muss seine unbeendete Mission an die nächste Generation weitergeben: An den engagierten aber frustrierten Lehrer Jake Epping (James Franco), der nach einer unglaubhaft leichten Überzeugungsarbeit durch Al bereit ist, ein Doppelleben in den 60er Jahren zu starten. Schließlich landet er drei Jahre zu früh, muss also ein richtiges Leben beginnen, Jobsuche und Freundin inklusive. Was Jakes Entscheidung erleichtert: Egal wie lange man in den 60ern zubringt, und seien es Jahre - in der Gegenwart verstreichen nur zwei Minuten. Es gibt noch etliche weitere solcher willkürlichen, unerklärten und dadurch lächerlichen »Regeln« bei der Zeitreise.
Diese in Deutschland beim Sender »Fox« angebotene Serie hat so viele inhaltliche, dramaturgische und ästhetische Schwächen, dass man kaum weiß, wo man mit der Kritik beginnen soll. Vielleicht bei der Ästhetik, weil die von der ersten Szene an stört und enttäuscht. Die Produktion sieht so glatt-altbacken aus wie verlebte Episoden von »Twilight Zone« oder »Geschichten aus der Gruft« und dauernd erwartet man, dass ein moderierendes Skelett aus der Rock›n‹Roll-Highschool-Kulisse hüpft. Da helfen auch düstere Einzelbilder nicht.
Dramaturgisch nimmt sich die Serie viel zu viel Zeit für Nebenhandlungen, kitschige Romanzen - und für willkürliche und wie angetackert wirkende Horrorelemente: »Die Vergangenheit will nicht verändert werden, sie wehrt sich«, raunte schon Al. Und einen John Franco so hölzern erscheinen zu lassen, muss eine Regie auch erst einmal hinbekommen.
Auch die inhaltlichen Mankos sind schwer zu verdauen. In dem Maße, in dem nur auf den kleinen Fisch Oswald fokussiert wird, werden zahllose wichtige (und spannende) Elemente ausgeblendet: die Mafia-Vergangenheit des Kennedy-Vaters Joseph, der Faible JFKs für CIA-Geheimoperationen, die forcierte CIA-Kooperation mit der Mafia, die Heuchelei der »Camelots«, die sowohl die Mafia als auch die CIA für eigene Zwecke nutzten, um sie dann öffentlich moralisch zu verurteilen. Aber auch die »andere Seite« wird geschont: Schweinebucht? Ein rachsüchtiger militärischer Komplex? Die mächtigen Kennedy-Hasser J. Edgar Hoover, Howard Hughs, Jimmy Hoffa? Fehlanzeige (in den ersten Episoden).
Nur wenn man all das verdrängt, kann man den durchaus vorhandenen, trashigen Entertainment-Faktor der nach einem Stephen-King-Buch entstandenen Serie genießen.
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