Wer hat verstanden? Und was?
Wolfgang Hübner über eine verhängnisvolle Floskel von Wahlverlierern
Es gibt Sätze, die man sich dreimal überlegen sollte, bevor man sie ausspricht. Und die man sich gut merken muss, wenn sie einmal raus sind. »Wir haben verstanden«, sagte der österreichische Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nach der verheerenden Niederlage der Traditions- und Regierungsparteien SPÖ und ÖVP bei der Präsidentenwahl. Die Kandidaten der Sozialdemokraten und der Konservativen waren nicht einmal unter die ersten Drei gekommen; triumphiert hat die rechtspopulistische FPÖ.
Man werde die deutliche Warnung der Wähler ernst nehmen, erklärte daraufhin der sozialdemokratische Kanzler Werner Faymann, und sein konservativer Stellvertreter Mitterlehner griff zu jenem Slogan, mit dem vor etlichen Jahren der Opel-Konzern Reklame gemacht hatte.
Allerdings ist Mitterlehners Satz auch anderweitig kontaminiert. Denn mit genau diesen Worten hatte im Juni 1999 der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder auf eine heftige Pleite seiner SPD bei der Europawahl reagiert. Nach nicht einmal Jahr rot-grüner Bundesregierung war von der Euphorie, den ewigen Kanzler Helmut Kohl endlich abgewählt zu haben, kaum noch etwas übrig. Im Juni 1999 hatten unversöhnliche Politikentwürfe die führenden Köpfe der Sozialdemokratie schon entzweit: Oskar Lafontaine hatte im Frühjahr überraschend Ministeramt und Parteivorsitz niedergelegt und fluchtartig die Hauptstadt verlassen. Schröder, auch als Autokanzler verschrieen, borgte sich den Opel-Slogan und bastelte mit dem britischen Premier Tony Blair ein Konzept der Neuen Mitte, das die europäische Sozialdemokratie »modernisieren« sollte – beabsichtigt war eine Verschiebung ihres politischen Koordinatensystems nach rechts. Damit war Schröder endgültig der Genosse der Bosse. Eine der Folgen war die Agenda 2010, ihr Kern die unseligen Hartz-Reform. Die nächste Europawahl sah die SPD dann noch viel weiter unten; 2005 wurde sie nach einer Serie von Niederlagen bei Landtagswahlen auch aus der Bundesregierung abgewählt, und seitdem befindet sie sich in einem Dauerzustand des Siechtums.
Alles, was aus Schröders Diktum »Wir haben verstanden« folgte, hatte fatale Auswirkungen für Millionen Menschen und für die SPD. Damals ging es um die Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokraten und Konservativen die SPD gab – wie die Sozialdemokratie in vielen anderen Ländern - dem verteilungspolitischen Druck von rechts massiv nach. Die daraus resultierenden Verwerfungen sind ein Teil des Humus, auf dem heute der Nationalismus blüht. Inzwischen findet der entscheidende Machtkampf beinahe europaweit ein ganzes Stück weiter rechts statt. Bei der Wahl in Präsidentenwahl in Österreich ging es um die Auseinandersetzung zwischen rabiaten Rechtspopulisten und den etablierten Parteien. Der Erfolg der FPÖ beruht nicht zuletzt auf einer aggressiven Abwehrhaltung gegen Flüchtlinge, und der rot-schwarzen Regierung hat es nicht geholfen, dass auch sie sich dem verteilungspolitischen Druck von rechts außen gebeugt und sich auf einen scharfen Anti-Asyl-Kurs begeben hat.
Was lernen die Wiener Wahlverlierer daraus? Und was haben sie verstanden? Für erfreuliche Antworten auf diese Fragen gibt es leider wenig Anlass.
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