Der Glücksfall pommerscher Sturheit

Zum 80. Geburtstag bekommt Manfred Stolpe ein Buch geschenkt

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.
»Von Pommern nach Potsdam« ist der Gesprächsband betitelt, den der ehemalige Brandenburgische Ministerpräsident zu seinem Jubiläum erhält - ein Geschenk, an dem er selbst aktiv mitwirkte.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall erleben wir, dass die Erinnerung an die Ereignisse damals zu immer gleichen, wiederkehrenden Bildern dicht gedrängter, schreiender oder jubelnder Menschen oder Mauerkletterer erstarrt. Die ungeheuren Aufgaben aber, die mit der überstürzten Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu bewältigen waren - und damit vor allem deren Akteure - sind vielen jungen Menschen nicht mehr bewusst. Manfred Stolpe, der spätere Ministerpräsident von Brandenburg, gehörte durch seine Berufserfahrungen zu den wenigen Ostdeutschen, die dafür prädestiniert waren. Ein Glücksfall, kann man heute sagen, wie auch seine Zusammenarbeit mit Regine Hildebrandt - bis zu ihrem bedauerlichen Zerwürfnis wegen unterschiedlicher Orientierungen und Temperamente.

»Kein Politiker der Nachwendezeit«, heißt es im Vorwort des informativen Interviewbandes, »hat Brandenburg mehr geprägt als Manfred Stolpe« - und das durch »natürliche Autorität« und »Beharrungsvermögen«. Er selbst spricht ein wenig selbstironisch von seiner »pommerschen Sturheit«. Er prägte aber auch durch die Erfahrungen aus seiner herausragenden juristischen Position in der Evangelischen Kirche in der DDR, die ihm unendlich viele Kontakte, oft auch Freundschaften, mit einflussreichen Persönlichkeiten der Kirchen, der Ökumene und mit Politikern in Ost und West ermöglichte. Vielfältig »vernetzt«, setzte sich Stolpe, wenn es ihm wichtig erschien, auch über politische und institutionelle Hindernisse und Grenzen hinweg. Seine Interviewpartner nennen ihn zu Recht einen Botschafter und »zentralen deutsch-deutschen Vermittler«, er spricht lieber von sich als einem Dolmetscher. Was den Kirchenjuristen Stolpe in DDR-Zeiten auch manchmal, wenn es ihm wichtig und notwendig erschien, zu eigenmächtigen Gesprächen und Entscheidungen veranlasste und wie das dann ganz praktisch aussah, kann man im Buch nachlesen.

»Kein Thema ist tabu« lautete die Verabredung Christoph Singelnsteins (Chefredakteur des rbb) und Jost-Arend Bösenbergs (DOKfilm Fernsehproduktion GmbH) mit Stolpe vor dem Interview. Der Untertitel »Ein Leben im Gespräch« ist im doppelten Wortsinn zu verstehen. Mit der Würdigung von Stolpes Wirken vor und nach der Wiedervereinigung wird zugleich jüngere und jüngste Geschichte lebendig, nicht zuletzt durch kompetente Fragen der Gesprächspartner nach wichtigen Daten und Ereignissen wie etwa die Einführung der »Bausoldaten«-Möglichkeit 1964, die Gründung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR 1969, die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz 1976 oder die »Schwerter-zu-Pflugscharen«-Aktion DDR-Jugendlicher in den 1980er Jahren. Als Beispiel für Nach-Wende-Ereignisse sei hier an Stolpes Plädoyer für eine Fusion Berlin-Brandenburg erinnert, »eine seiner politischen Visionen«, die durch Volksentscheid 1996 scheiterte - was er heute noch bedauert.

Zu seinem Werdegang: Am 16. Mai 1936 in Stettin geboren, führte Manfred Stolpes Lebensweg durch Flucht 1945 nach Greifwald und nach dem Abitur zum Jurastudium nach Jena, was in diesen politisch schwierigen Fünfziger Jahren für den Parteilosen schon außergewöhnlich war, ihm aber danach den Weg eines Juristen in der Berliner Kirchenverwaltung mit gleichzeitigen Weiterbildungsmöglichkeiten an der FU bis zum Mauerbau eröffnete. Hier sei Letzteres besonders erwähnt, weil Manfred Stolpe dadurch »auf der Ostseite einer der wenigen Juristen war, die das Recht des Westens und das Recht der DDR kannten«, wie er selbst sagt. Das kam seiner Tätigkeit als oberstem Verwaltungschef des Kirchenbundes der DDR zu Hilfe, nach der »Wende« der Gründung Brandenburgs als erstem ostdeutschen Bundesland mit problematischen Entscheidungen, vor allem bei der Standorterhaltung der alten Industriezentren, was nicht in jedem Fall wie gewünscht gelang. Erwähnt und enttabuisiert wird im Band auch das leidige und viele immer noch beschäftigende Thema von Stolpes Zusammenarbeit mit dem MfS, ein Vorwurf, der in den 1990er Jahren zu einer verbalen Hetzjagd hochgekocht wurde und gegen den er sieben Jahre lang prozessierte - erfolgreich.

Manfred Stolpe: Von Pommern nach Potsdam. Ein Leben im Gespräch. vbb, 104 S., geb., 14,99 €.

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