Wenn die Kunst zur Last wird
Wohin mit dem Nachlass eines Malers oder Bildhauers? Im Kreis Mecklenburgische Seenplatte hatte man eine Idee
Museen lehnen meist dankend ab, wenn Künstler oder deren Erben ihnen Nachlässe anbieten - auch in Mecklenburg-Vorpommern. Sie verweisen auf den Mangel an Platz, Personal und Geld, um Bilder, Grafiken, Skulpturen, Fotografien, Skizzen und Modelle zu lagern und auch noch öffentlich zugänglich zu machen. Das Staatliche Museum Schwerin übernehme prinzipiell keine Nachlässe, sagte Direktor Dirk Blübaum in einer dpa-Umfrage. »Es ist nicht so, dass der Nachlass das Wichtigste eines Oeuvres enthält.«
Doch was soll mit den Arbeiten werden, die bei manchen Künstlern mehrere Räume füllen? Die Erben seien meist überfordert, sagte die Malerin und Grafikerin Heide-Marlis Lautenschläger aus Zachow bei Neubrandenburg. Nicht selten gerieten die Kunstwerke irgendwo in Vergessenheit. Doch müsse regionales Kulturerbe bewahrt werden, es leiste einen Beitrag zum Identitätsbewusstsein der Alteingesessenen und Zugezogenen.
Lautenschläger initiierte daher im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ein Archiv Bildende Kunst, das ausgewählte Künstlernachlässe aus der Region sammelt. Es wurde im Herbst 2015 auf Beschluss des Kreistages gegründet und ist das bisher einzige Projekt dieser Art im Land. Der Landkreis als Träger übernimmt die Kosten für die Versicherung und die Räume in einer Schule in Neubrandenburg. Eine Mitarbeiterin des Kulturamts des Kreises kümmert sich mit um das Archiv. »Die Mitglieder der Initiative betreiben das Archiv ehrenamtlich«, sagte Lautenschläger. »Bisher sind wir über einen Nachlass und zwei Vorlässe in Verhandlung.« Namen wolle sie erst nennen, wenn alles unter Dach und Fach sei. Mit den Arbeiten will das Archiv die Entwicklung der bildenden Kunst im Kreis dokumentieren, will Ausstellungen gestalten, in Schulen gehen. Forscher und Interessenten sollen Zugang haben.
Lautenschläger hält Vorlässe - die Übergabe eines Teils des Werkes schon zu Lebzeiten - für die beste Option. Der Künstler treffe dann selbst eine Auswahl. Denn alles, was von einem Lebenswerk vorhanden ist, könne auch das Archiv nicht aufnehmen. Empfohlen werde Archiven die Übernahme von bis zu zehn Prozent eines Nachlasses. Anders sieht es in der Literatur aus. Auch hier wird im Land nur in Neubrandenburg der Nachlass von Autoren der Region gesammelt. »Wir nehmen erstmal alles. Die Sachen brauchen nicht so viel Platz«, sagte die Leiterin des Literaturzentrums, Erika Becker. Neben Büchern und Manuskripten seien das Fotos, Briefe und Rezensionen, aber auch Alltagsdinge wie Kalender, Telefonbücher und sogar Einkaufszettel. Archiviert sind bislang unter anderem die Nachlässe von Hans Fallada, Brigitte Reimann, Joachim Wohlgemuth, Helmut Sakowski, Lisa und Herbert Jobst und Martin Pohl. Das Material steht Biografen, Studenten und Wissenschaftlern zur Verfügung. Andere Einrichtungen verfolgen andere Sammlungskonzepte und verwalten nur die Nachlässe einzelner Künstler aus der Region, wie Wolfgang Koeppens in Greifswald und Uwe Johnsons in Rostock. Oder sie sind nur thematisch ausgerichtet: So besitzt der Landesverband Jeunesses Musicales, Veranstalter des Festivals Verfemte Musik, die Nachlässe zweier in der Nazizeit verfolgter Musiker. In Schwerin wird die Notensammlung des Pianisten Peter Wallfisch bewahrt, in Rostock der Nachlass des in Auschwitz ermordeten Sängers Konrad Wallerstein.
Die Linksfraktion im Landtag hält das Archiv Bildende Kunst für beispielhaft. Bereits 2014 hatte sie im Landtag gefordert, dass die SPD/CDU-Landesregierung Verantwortung für das Kunsterbe im Land übernehmen müsse, das nicht verschwinden oder verstreut werden dürfe. »Das kann nicht der Initiative einiger Enthusiasten überlassen bleiben«, so der kulturpolitische Sprecher Torsten Koplin. Das Land sollte bewahren, was landesweit von Bedeutung ist, die Kreise sollten Kunstwerke von regionaler Bedeutung sichern. Träger solcher Archive könnte eine Stiftung sein.
Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) hält die Idee für nicht realisierbar. Sie scheitere schon daran, dass es auch einer Fachkommission nicht möglich sei zu entscheiden, wer ein großer Künstler ist und wer nicht. Zudem sei die Aufarbeitung eines Nachlasses mühevoll. Brodkorb erinnerte an den Grafiker und Zeichner Armin Münch (1930-2013), von dem die Universität Rostock zu Lebzeiten 15 000 Zeichnungen, Grafiken und Skizzenbücher übernahm. Später habe sich keine Institution für den weiteren Nachlass gefunden. dpa/nd
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