Volvograd liegt in Wandlitz
Sonderschau in Wandlitz widmet sich der Geschichte der Wohnsiedlung der SED-Elite
Eine schwarze Volvo-Luxuslimousine mit DDR-Stander steht für einige Tage in der Ausstellungshalle des modern gestylten Barnim-Panoramas in der Gemeinde Wandlitz. Inmitten historischer Traktoren des Agrarmuseums wirkt die Staatskarosse reichlich deplatziert. Bei dem Blickfang handelt sich um den Dienstwagen von Erich Mielke. Mit ihm wurde der DDR-Minister für Staatssicherheit täglich von seinem Wohnsitz ins Ministerium nach Berlin und zurück chauffiert.
Mielke wohnte, wie die meisten Mitglieder des SED-Politbüros, bis zu seiner Entmachtung in der zwei Kilometer entfernten, eigentlich zur Stadt Bernau gehörenden Waldsiedlung. Die in den 1980er Jahren bevorzugten Schweden-Karossen, die mit verhängten Fenstern über die speziell gesicherten Protokollstrecken brausten, trugen dem streng bewachten, neugierigen Blicken entzogenen Prominenten-»Städtchen« den boshaften Titel »Volvograd« ein. Die Bezeichnung »Waldsiedlung Wandlitz« jedenfalls ist auch nicht korrekt und diente eher dazu, den privaten Wohnort der führenden Repräsentanten der Arbeiter- und Bauernrepublik, an dessen Außenzäunen vor einem »Wildforschungsgebiet« gewarnt wurde, zu verschleiern. Der von der Außenwelt abgeschottete Ort bot viel Raum für Mythen und Gerüchte.
Jürgen Danyel, Vize-Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), sagte, die Waldsiedlung sei für die Menschen eine Projektionsfläche gewesen: »Als normaler DDR-Bürger wusste man relativ wenig über Wandlitz, aber jeder ›wusste‹ irgendwas.« Danyel und die Historikerin Elke Kimmel sind die »Macher« der Sonderausstellung »Waldsiedlung Wandlitz. Eine Landschaft der Macht«. Die bis zum 9. November gezeigte Schau sei ein historisch-kritischer Überblick über die Geschichte der ab 1958 erbauten und bis 1990 genutzten Wohnsiedlung der SED-Spitzenfunktionäre, sagte er.
Fotos und Dokumente, knappe, sachliche Texte und auch Tonaufnahmen bieten eine Chronik des von DDR-Hassern als »Bonzen-Ghetto« geschmähten Ortes bis zum Auszug der letzten Vertreter der abgesetzten SED-Führung. Auch einige Originalobjekte, die die Plünderung der herrenlosen Hinterlassenschaften der einstigen Bewohner überstanden haben, sind zu sehen - darunter auch Skulpturen, die die Stadt Bernau in Sicherheit gebracht und bewahrt hat.
Die Waldsiedlung gelte vielen Menschen nach wie vor als ein Symbol für den Politik- und Lebensstil der SED-Machtelite, für deren Privilegien und zunehmende Entfremdung von der Lebensrealität in der DDR, so Jürgen Danyel. Doch man wolle keinen voyeuristischen Blick auf das Privatleben von Honecker und Co. werfen, sondern zeigen, wie das »System Wandlitz« mit seiner Abschottung, der Sonderversorgung mit Westwaren, mit seiner sozialen Kälte im Umgang der Bewohner untereinander funktionierte. Und, wie sich darin Spuren der DDR-Geschichte wie Konflikte innerhalb der SED-Führung widerspiegelten.
Elke Kimmel würdigte die enge Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wandlitz und verwies auf die Förderung durch das Wissenschaftsministerium Brandenburgs sowie die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur. Man habe mit der Ausstellung endlich einen Anstoß zum offenen Umgang mit dem politischen Erbe der Vergangenheit geben und zeigen wollen, wie die Waldsiedlung in die gesamte Region hineingewirkt habe. Zur Versorgung und Sicherung von 20 Haushaltungen seien fast 650 Menschen - darunter zahlreiche MfS-Mitarbeiter - eingesetzt gewesen, von denen viele im Ort untergebracht waren und noch heute wohnen. Allerdings räumte sie ein, dass man es unterlassen habe, mit früheren Mitarbeitern, Familienangehörigen der einstigen Funktionäre oder mit den letzten noch lebenden Mitgliedern des SED-Politbüros zu reden. Man erwarte von jenen Zeitzeugen »nichts Erhellendes« und denke, dass sich die meisten eh nicht äußern wollten. Die Sicht der abgesetzten SED-Funktionäre auf ihre Zeit in Wandlitz sei in deren Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss der DDR-Volkskammer 1990 gut dokumentiert.
Eher am Rande wird die Historie der »Topographie der Macht« in der Barnim-Region gewürdigt, die schon zur Kaiser- und Nazi-Zeit von den Mächtigen beanspruchten Jagdreviere in der Schorfheide, die FDJ-Hochschule Bogensee neben dem Goebbels' Waldhof, das MfS-Gästehaus Schloss Dammsmühle, das einst SS-Führer Himmler jüdischen Besitzern abpresste oder die für Sowjet-Botschafter Pjotr Abrassimow eingerichtete Ferienvilla am Wandlitzsee.
Zur Ausstellungseröffnung geladen war auch Paul Bergner, der Verfasser des ersten Sachbuches zur Waldsiedlung. Er kämpft seit Frühjahr 1990 um den Erhalt und die museale Erschließung der Zeugnisse der Waldsiedlung. Das Potsdamer Kulturministerium ließ ihn 1991 damit abblitzen. Aus seiner Sicht kommt das staatliche Interesse viele Jahre zu spät und lässt nun die Sicht vieler Wandlitzer außer Acht. Bergner war lange einziger Ansprechpartner vor Ort zu diesem Kapitel deutscher Geschichte.
Mit dem Mauerfall und der Entmachtung der alten SED-Führung im Herbst 1989 erfuhr die Bevölkerung auch die Wahrheit über das »System Wandlitz«. Inzwischen verweigert sich auch die auf dem Areal angesiedelte Brandenburg-Klinik, ein Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern, nicht länger der Aufarbeitung der Vergangenheit.
Gerade wurden Informationsstelen aufgestellt - so vor dem früheren Honecker-Domizil im Habichtweg 5, das derzeit zum Wohnquartier für Begleitpersonen von Reha-Patienten umgebaut wird. Reste vom Originalmobiliar finden sich aber nur noch in Walter Ulbrichts Bibliothekszimmer in Haus 7.
Barnim-Panorama, Breitscheidstr. 8-9, 16348 Wandlitz, geöffnet täglich außer freitags von 10 bis 18 Uhr
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