»Das Rad der ewigen Jugend«

Am Rande des Giro besucht »nd« einen italienischen Mechaniker, der kleine Motoren in Rennrädern versteckt

  • Tom Mustroph, Empoli
  • Lesedauer: 4 Min.
Motordoping ist das neue Betrugsthema im Radsport. Nur eine Nachwuchsfahrerin wurde enttarnt, und viele zweifeln noch daran, dass Profis mit Motoren schummeln. Dabei erscheint ihr Einbau kein Problem.

Als der Giro d’Italia vor wenigen Tagen durch die Toskana fuhr, waren Rennräder unterwegs, die von Motoren getrieben wurden. Ob im Peloton selbst, ist allerdings unklar. Die Kontrolleure des Weltverbands UCI wollen mit ihren blauen Tablet-Computern, angeschlossen an Sensoren, mit denen sie die Rahmen der Renngeräte der Teilnehmer abtasten, genau das ausschließen. Unter den Zehntausenden, die sich selbst mit dem Rennrad an die Strecke begaben und den Profis zujubelten, hatten gewiss Dutzende einen Elektroantrieb unter dem Sattel. Denn im toskanischen Empoli hat Alessandro Bartoli sein Geschäft.

Bartoli baut Motoren der Marke Vivax in Rennradrahmen ein. Er baut sogar die Rahmen selbst und integriert den etwa 15 Zentimeter langen Motor ins Sitzrohr. Das gesamte Volumen des Unterrohrs nutzt er zum Einbau der Batterie. »Damit kommen wir auf fast drei Stunden Laufzeit. Mit der Batterie in der Trinkflasche sind es nur 50 Minuten und in der Werkzeugtasche maximal 90«, freut sich Fahrradbauer Bartoli, als »nd« in seine Werkstatt kommt. Pro Woche verkauft Bartoli zwei dieser eingebauten Motoren mit einer Maximalleistung von 200 Watt. »140 Watt kommen nur am Hinterrad an«, meint er zwar. Dennoch eine ganze Menge.

Beim Giro d’Italia können schon 20 Watt mehr, zum richtigen Zeitpunkt getreten, den Tagessieg ausmachen. 140 Watt mehr ließen sogar Amateure mit den Profis mithalten. Bartoli hat diese neue Leistungsstärke selbst erfahren. »Ich war früher Amateur, habe das Rad aber vor zehn Jahren in die Ecke gestellt, als mich bei den Anstiegen hier selbst meine Frau abhängte. Durch den Motor kann ich mit den Profis, die hier trainieren, auch bei den härteren Einheiten mithalten«, sagt er.

Von dem kleinen Wunderwerk der Technik ist von außen nichts zu sehen, weder Motor noch Batterie. Auch keine Kabel. »99 Prozent meiner Kunden sind Radamateure, oft ältere Menschen, die sich so einen Teil ihres früheren Lebens zurückholen, weil sie wieder gemeinsam mit den gut Trainierten über die Berge kommen«, meint Bartoli. Daher wirbt er auch mit dem Spruch: »Das Rad der ewigen Jugend«. Ob er seine Spezialanfertigungen auch an Profis verkauft, lässt er im Unklaren. »Wir weisen immer darauf hin, dass dieses Rad nicht bei Wettkämpfen eingesetzt werden darf«, beteuert er. Ob sich die Kunden daran halten, ist dann nicht mehr seine Angelegenheit.

Im Peloton des Giros ist der Glaube an Betrüger geteilt. »In der Vergangenheit waren E-Motoren sicherlich schon im Einsatz. Aber ich kann es mir bei diesem Giro nicht vorstellen«, meint etwa Nikias Arndt, Fahrer des deutschen Giant-Teams. »Ich bin mir sicher, dass hier nichts gefunden wird«, sagt Tristan Hoffman, Sportlicher Leiter von Tinkoff, sogar sehr entschlossen. »Da müssten ja mehrere Leute involviert sein, Mechaniker, sportliche Leiter und der Sportler selbst.« Er schüttelt den Kopf, als wolle er es nicht glauben. Und schwächt dann ab. »Man kann sich aber nicht sicher sein. Deswegen ist es gut, dass es die Kontrollen von der UCI gibt«, sagt er schließlich. Diesen Kontrollen vertraut auch Davide Cassani. Der Ex-Profi, gegenwärtig Italiens Nationaltrainer, wies bereits 2010 als einer der ersten auf die Gefahr von E-Antrieben hin. Die starken Beschleunigungen des Schweizers Fabian Cancellara bei der Flandernrundfahrt und Paris-Roubaix hatten damals den ersten Verdacht erregt. Cassani zeigte im Fernsehen einen Motor. Er stammte offenbar aus der Werkstatt von Istvan Varjas.

Der Ungar baut seine eigenen Motoren, die etwa zwei Drittel kleiner als die Bartolis sind und trotzdem sogar 250 Watt produzieren sollen. Varjas erklärte dem französischen Fernsehen, dass er sie ursprünglich für beinamputierte Veteranen des Jugoslawienkriegs entwickelt hätte. Nun verkaufe er sie aber auch an Radprofis. Erwischt wurde bislang nur die belgische Cross-Fahrerin Femke Van Den Driessche. Mit welchem Modell verriet die UCI nicht. Dass aber eine Juniorin, weit weg von großen Preisgeldern und Werbeverträgen, Betrugspionierin ist, glaubt niemand.

Ein Mann, der gern die Grenzen des Machbaren auslotet und die des Erlaubten regelmäßig überschritt, ist sich sicher, dass E-Motoren schon seit 2005 im Einsatz sind. In seinem Blog schreibt Italiens Dopingguru Michele Ferrari allerdings nur vom Einsatz im Training. E-Motoren könnten das Tempotraining hinter Motorrädern ersetzen, argumentiert er. Es dürfte im Profilager also schon Experten im Handling der kleinen Antriebshilfen geben, die wissen: Wann schaltet man wie viel Watt hinzu? In welcher Kadenz macht das Gerät das geringste Geräusch? Und wie schalte ich es am besten aus und ein?

Dass die UCI bisher nur die Cross-Juniorin enttarnte, lässt eher auf große Maschen im Kontrollsystem schließen als auf fehlende Betrüger. Nur drei Mal sind die Teams auf den bisherigen 13. Etappen getestet worden, jeweils bei den Zeitfahren und ein weiteres Mal überraschend. Es war eine Testshow zur Beruhigung - kaum mehr.

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