Ein Zerrbild wird korrigiert
Nero - römischer Kaiser, regierte 54 bis 68 n. Chr., letzter Vertreter der julisch-claudischen Dynastie, einer der berühmtesten, aber auch umstrittensten Herrscher des römischen Reiches. Seine Beinamen sind gemeinhin Muttermörder (alternativ Brudermörder), Christenverfolger und Brandstifter - schlimmer geht’s kaum. Die römischen Geschichtsschreiber Tacitus, Sueton und Cassius Dio ergriffen in ihren Werken leidenschaftlich Partei - gegen ihn. Das Bild von einem Scheusal und blutrünstigen Tyrannen war geboren. So geprägt, wurden die historischen Urteile mit zeitlicher Distanz immer negativer. Mittlerweile ist manches von der Forschung korrigiert. Dass Nero 64 Rom nicht anzündete, ist heute Konsens. Das Ausmaß der neronischen Christenverfolgung wurde relativiert, die Hintergründe neu bewertet. Für die in Auftrag gegebene Dezimierung seiner Familie (Ermordung des Stiefbruders Britannicus, der Mutter Agrippina und seiner Frau Octavia) gibt es nicht nur psychologische (Hinter-)Gründe, sondern auch historische. Feindselige Halbwahrheiten sind jedoch zählebig - ein Schicksal, das Nero mit seinem Lehrer und Berater Seneca teilt.
Drei große Museen in Trier haben sich nun zusammengetan, um ein differenziertes Bild von Nero und seiner Zeit zu zeichnen. Und zu hinterfragen, wie es zu der Rezeption des negativen Nero-Bildes kommen konnte. Trier scheint dafür der geeignete Ort zu sein. Seit 1986 wegen seiner bedeutenden römischen Baudenkmäler zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörend, ist Trier wahrscheinlich auch die älteste Stadt Deutschlands. In jedem Fall aber ist sie die römischste aller deutschen Städte. Zudem hat die neue Schau eine höchst erfolgreiche Vorläuferin: 2007 fand in den drei Häusern eine national wie international stark beachtete Ausstellung über Konstantin den Großen statt.
Das Rheinische Landesmuseum stellt in 14 Räumen »Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann« vor, berichtet über dessen Aufstieg, Herrschaft und sein Ende. Lange Zeit war Neros Leben geprägt durch das Wirken seiner machthungrigen Mutter Agrippina. Mit der Thronbesteigung 54 n. Chr. begann das »Goldene Zeitalter«, fünf Jahre, die später von Trajan hoch gelobt wurden. Goldmünzen zeigen Nero und Agrippina gleichberechtigt nebeneinander. Im Volk, dem er »Brot und Spiele« bescherte, scheint Nero sehr beliebt gewesen zu sein. Die Ermordung Agrippinas markierte eine Zäsur, die endgültige Lösung des Regenten aus deren Umklammerung; der Kaiser entzog sich nun auch dem Einfluss seiner Berater und Minister, Seneca und Burrus.
Ausführlich thematisiert die Ausstellung natürlich den Brand Roms. Erstmals werden aus dem National-Museum in der italienischen Hauptstadt Grabungsfunde aus der Brandschicht von 64 gezeigt. Interessant ist die Rolle Neros beim Wiederaufbau der Stadt und der Errichtung des riesigen, prunkvollen Palastes, des Domus Aurea: ein achteckiger Speisesaal mit drehbar gelagertem, kuppelförmigem Himmelsgewölbe.
Neros Extravaganzen und öffentliche Auftritte als Dichter, Schauspieler und Wagenlenker waren inspiriert von seiner Griechenlandreise in den Jahren 66 bis 68. Der Kaiser eilte von einem künstlerischen oder sportlichen Wettkampf zum anderen - und natürlich von Sieg zu Sieg. Mit nicht weniger als 1808 Preisen kehrte er in ein inzwischen verändertes Rom zurück. Angesichts der Aufstände in den Provinzen und eines neu ausgerufenen Kaisers - Nero ist in seiner Abwesenheit vom Senat zum »Feind des Volkes« erklärt worden - blieb ihm nur noch der Selbstmord.
Das Museum am Dom beschäftigt sich dem Verhältnis »Nero und die Christen«. Wie und warum musste es zum Konflikt zwischen dem römischen Kaisertum und dem Christentum kommen? Die Ausstellung befasst sich mit der Frage, ob er Vertreter einer verbotenen Religion aus Staatsräson verfolgen ließ oder ob er lediglich Sündenböcke brauchte und seine Wahl willkürlich auf die Christen fiel. Archäologische Funde - die Kapitolinische Trias und Opferstöcke - veranschaulichen das Religionsverständnis der Römer. Modelle von frühen Hauskirchen machen die Entwicklung der jungen Christengemeinde verständlich. Begonnen mit Petrus und Paulus in neronischer Zeit und Ignatios von Antiochien wird die Märtyrerverfolgung und -verehrung im alten Rom dargestellt und schließlich der Bogen gespannt bis zu den Christenverfolgungen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Sodann wird aktuell über die Religionsfreiheit und die Situation der Christen weltweit im 21. Jahrhundert berichtet.
Im Stadtmuseum Simeonstift geht es um »Lust und Verbrechen«, dargeboten als »Kulturgeschichte des schlechten Rufes«. Größenwahn, Prunksucht, Dekadenz, Mordlust wurden in den folgenden Jahrhunderten von vielen Künstlern immer wieder aufgegriffen. Die Ausstellung bringt Beispiele aus bildender Kunst, Literatur, Musik, Film und Theater vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Beliebte Motive waren und sind immer wieder der Bruder- und der Muttermord, Neros Anwesenheit bei der Sezierung der Leiche seiner Mutter, der von ihm erzwungene Selbstmord Senecas und die Tötung der Christen nach dem Brand Roms. Meilensteine der Rezeption des modernen Nero-Bildes sind der Roman »Quo vadis« von Henryk Sienkiewicz und dessen Verfilmung mit Peter Ustinov als Nero. Schließlich wurde das tradierte Nero-Bild auch von der Karikatur aufgegriffen und auf Zeitgenossen übertragen (Silvio Berlusconi, George W. Bush) sowie von der Werbung (Nero Burning ROM; das Programm zum Brennen von CD-ROMs spielt mit der Doppeldeutigkeit des Wortes).
Wie kompliziert, spannend und nicht immer eindeutig das Nero-Bild ist, mag ein hochkarätiges Exponat zeigen. Aus dem Domschatz zu Minden kommt ein silbernes Vortragekreuz aus dem frühen 16. Jahrhundert. In der Mitte ist eine antike Kamee eingefasst. Der geschnittene Stein zeigt den Kaiserkopf mit Eichenkranz im Profil nach rechts. Schon früh identifizierte man diesen als Domitian (81-96). Untersuchungen zeigten dann aber, dass die Darstellung das Ergebnis der Umarbeitung eines Porträts von Nero war. Die Erklärung schien klar: Die Überarbeitung geschah in Zusammenhang mit der Einfassung des antiken Steines in das Renaissancekreuz. Der Christenverfolger passte nicht in ein christliches Kreuz. Aber warum wurde das Porträt des ersten Christenverfolgers Nero in ein Porträt des zweiten Christenverfolgers Domitian umgeschnitten?
Es gibt weitere Beispiele dieser Art, nachdem der Senat gegen Nero die »damnatio memoriae« (Beseitigung des Andenkens einer Person) ausgesprochen hatte. Auf einer Mainzer Jupitersäule wurden sein Name und sein Titel in der Stifterinschrift auf dem Sockelstein unkenntlich gemacht. Die Ausstellung zeigt Münzen mit Einhieben und ein zerschlagenes Porträt Neros. Aber eine »damnatio memoriae« in der Steinschneidekunst macht eigentlich wenig Sinn. Denn um auf die Verfluchung Neros hinzuweisen, hätte sein Bildnis unter dem neuen für jeden erkennbar sein müssen. Das ist es aber nicht.
Leben, Wirken und Nachleben Neros sind und bleiben interessant, spannend und geheimnisvoll. es gibt noch so manche Rätsel zu lösen.
»Nero - Kaiser, Künstler und Tyrann« in Trier, Rheinisches Landesmuseum, Museum am Dom, Stadtmuseum Simeonsstift, bis 16. Oktober
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