Auch Gorbatschow hätte die Krim geholt
Sowjetischer Ex-Präsident unterstützt Putins Vorgehen / Ukraine droht mit Aussperrung aus Europa
Michail Gorbatschow hat seine eigene Sicht der Dinge. Auch heute noch mit 85 Jahren. So überraschte er jetzt mit der Erklärung, er unterstütze Putins Besetzung der Krim. Wenn er jetzt Präsident wäre, hätte er es genauso gemacht. Die Krim-Bevölkerung sei ja nahezu einstimmig für den Anschluss an Russland gewesen. Während seiner Amtszeit habe die Schwarzmeer-Halbinsel der Sowjetunion gehört, so Gorbatschow. Wenn es so geblieben wäre, wäre der Anschluss nicht erforderlich geworden.
In der Ukraine fordert man den Westen nun auf, Gorbatschow die Einreise in die EU zu sperren. Kiew werde darum kämpfen, dem Ex-Präsidenten der Sowjetunion den Weg nach Europa zu verwehren, sagte der ukrainische Innenministerberater Anton Geraschtschenko dem russischen Sender »Hier spricht Moskau«. Der ukrainische Sicherheitsrat werde ihm wohl die Einreise sperren. Das tue er immer bei Personen, die für die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine eintreten. Gorbatschow sei aber in letzter Zeit dort nicht aufgetaucht. »Er hat hier nichts zu suchen«, meinte Geraschtschenko.
In seinem Interview für die britische »The Sunday Times« warf Gorbatschow gleichzeitig dem Westen vor, den Zerfall der Sowjetunion bejubelt zu haben. »Sie waren nie richtig daran interessiert, dass Russland eine stabile und starke Demokratie wird«, sagte er nach Angaben der russischen Agentur RIA Nowosti. Er mache nicht die Besetzung der Krim, sondern »die Überheblichkeit Washingtons« für die Abkühlung zwischen dem Westen und Russland verantwortlich, heißt es in einem Kommentar.
Der letzte Präsident der UdSSR habe damit »einen gewissen Mut« bewiesen, schreibt der »Moskowski Komsomolez«. Michail Sergejewitsch lasse sich im Westen medizinisch behandeln und könnte auf die Sanktionsliste kommen. Ohne westliche Ärzte würde er nicht auskommen. Er sei sehr verwundert, sagt der Leiter des Internationalen Instituts für politische Expertisen, Jewgeni Mintschenko. Gorbatschow sei für seine prowestliche Rhetorik bekannt. Er habe Putins Politik bisher heftig kritisiert - und plötzlich eine solche Solidarität mit Putin? »Es ist für mich eine unerklärliche Wende«, meint Mintschenko.
Indirekt hatte Gorbatschows Schicksal die Grundlage für die künftige Krim-Krise gelegt. Der erste ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk beschrieb später die Vorgänge bei der Unterzeichnung des Abkommens bei einem Geheimtreffen in Weißrussland, mit dem die Sowjetunion aufgelöst wurde. »Was machen wir mit der Krim?«, habe er damals den russischen Präsidenten Boris Jelzin gefragt. »Nimm sie dir«, habe Jelzin geantwortet. Ein russischer Anspruch auf die Halbinsel hätte langwierige Verhandlungen bedeutet. Jelzin brauchte aber eine sofortige Entscheidung, um den Unionsstaat aufzulösen und so den lästigen Rivalen Gorbatschow loszuwerden.
Offensichtlich hat Putin sein Krim-Abenteuer richtig kalkuliert. Die Krim, wo bis heute Schlösser der russischen Zaren stehen, wurde von der Bevölkerung immer als russisches Stammgebiet empfunden. Bis auf die Übergabe der Halbinsel 1954 durch den damaligen Ersten Sekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow, hatte die Ukraine mit ihr nie etwas zu tun.
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