Ein Kunstforum soll der Buga weichen
In Thüringens Landeshauptstadt Erfurt sehen sich kulturelle Einrichtungen akut in ihrer Existenz bedroht
Die Perspektive ist düster: Der Stadtrat der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt hat auch in diesem Jahr noch keinen Haushalt verabschiedet. Deshalb ist das Fortbestehen vieler kultureller Einrichtungen der Stadt bedroht. Planungssicherheit ist nicht gegeben, Stellen wurden gestrichen, Bestandsleistungen eingefroren. Es findet keine Förderung statt.
Gleichzeitig schlossen für das kulturelle Leben Erfurts wichtige Orte, oder sie stehen kurz vor dem Aus. Jetzt soll das »Forum Konkrete Kunst« in der Peterskirche geschlossen werden. Der Vorwand: Zwei für die Aufsicht der Ausstellung arbeitende Personen gehen in diesem Jahr in Rente, die Stadtverwaltung Erfurts sähe sich außerstande diese beiden Stellen neu zu besetzen. Ein Grund dafür wäre der Zustand der Personaltoiletten.
Zur Erinnerung: Die Stadt Erfurt leistet sich eine Oper, in Erfurt Theater genannt, die jährlich Millionen verschlingt und den Neubau einer bundesliga-tauglichen Multifunktionsarena für den 3. Liga-Verein Rot-Weiß Erfurt. Wenn es bei dem schon nicht zur Bundesliga reicht, soll die Atmosphäre wenigsten so aussehen.
Das »Forum konkrete Kunst« gibt es seit 1993 in der Erfurter Peterskirche, einer romanischen Pfeilerbasilika. Die außergewöhnliche räumliche Situation, verbunden mit einer wechselvollen Geschichte, inspirierte 120 Künstler aus 15 Ländern zu einer alternativen Präsentation der Kunstwerke, es entstand eine einmalige Sammlung. Das Forum ist eine wichtige Plattform für die Präsentation und Diskussion neuer Arbeiten der Kon-struktiv-Konkreten Kunst sowie für theoretische Auseinandersetzungen grundlegender Themen der Gestaltung und Rezeption. Der Anfang dieser künstlerischen Bewegung liegt am Beginn des 20. Jahrhunderts. Kandinsky sprach 1910 von »Absoluter Malerei«, Malewitsch begründete in Russland 1915 den »Suprematismus«, in den Niederlanden bildete sich 1917 die »De Stijl-Bewegung« mit Mondrian und van Doesburg.
1992 unterbreitete der Künstler und Projektmacher Jürgen Blum-Kwiatkowski der Kulturdirektion Erfurt die Idee, ein Museum zu schaffen, das spezialisiert ist auf Werke der Konstruktiv-Konkreten Kunst, die von den Künstlern als Leihgabe zur Verfügung gestellt und auch nach eigener Entscheidung gegen aktuellere ausgewechselt werden können. Nach anfänglicher Skepsis entstand eine engagierte Zusammenarbeit von Kuratoren, Künstlern und Kulturdirektion. In der Eröffnungsrede sagte der Kunstwissenschaftler Dietrich Mahlow: »Die Kunst gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens. Das zeigt diese Stadt mit diesem neuen Museum in einer Zeit, in der solche Wagnisse selten geworden sind …« Als Dauerleihgabe sind Arbeiten international renommierter Künstlern wie Horst Bartnig, Richard Bell, John Carter, Laura Castagno, Tom Mosley, Grazia Varisco, Bo dan Zalesius und in wechselnden Ausstellungen aktuelle Positionen zu sehen. In diesem Jahr werden Skulpturen von Ben Muthofer, Lichtobjekte von Werner Bauer, Arbeiten von Karl-Heinz Adler und Günther Uecker gezeigt.
Wurde bei der Eröffnung des Forums noch das spannende Miteinander von moderner Kunst und alter Architektur gewürdigt, ist davon jetzt keine Rede mehr. Schon vor Jahren gab es einen Versuch, das Forum aus der Peterskirche zu vertreiben. Nun soll im Rahmen der Planung zur Bundesgartenschau 2021 das Areal touristenfreundlich aufgewertet werden. Was liegt da näher als eine seit Jahren offenbar lästige Sammlung für Konkrete Kunst abzuwickeln und auf Historie zu setzen? Nach der angekündigten Sanierung wird die Peterskirche jedenfalls leichte Kost beherbergen. Dagegen und gegen die kulturelle Notlage in Erfurt haben kulturelle Initiativen, Einrichtungen und Vereine unter dem Slogan »Empört Euch!« für den 25. Mai eine Demonstration geplant. In einem Trauermarsch in E-Moll soll die Königin Kultur zu Grabe getragen werden.
Gefordert werden die Erarbeitung und Verabschiedung des Haushalts 2016, der Verzicht auf weitere Schließungen von Orten für Kunst und Kultur, die Mitbestimmung bei kulturellen Entscheidungen. Die Einnahmen der Kulturförderabgabe (»Bettensteuer«) sollen zu 100 Prozent selbstverwaltet der Kulturszene Erfurts zugute kommen. Gerade in Erfurt, wo AfD-Politiker wie Björn Höcke regelmäßig ihre menschenfeindliche Hetze auf Kundgebungen verbreiten, ist jeder Abbau von Kultur ein weiterer Schritt hin zur Unkultur.
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