Halles OB vor Magdeburger Richter
Untreueprozess gegen parteilosen Rathauschef Bernd Wiegand muss neu aufgerollt werden
Zum ersten Prozess gegen ihn konnte Bernd Wiegand laufen. Vom Rathaus zum Landgericht in Halle sind es wenige Minuten Fußweg. 24 Verhandlungstage lang wehrte sich der parteilose Rathauschef dort gegen den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, mit überhöhten Gehältern für drei enge Mitarbeiter einen Schaden von über 290 000 Euro für die Stadtkasse zu verursachen. Er hatte zunächst Erfolg; im Februar 2015 sprach ihn das Gericht vom Vorwurf der Untreue frei. Jetzt aber muss der Fall erneut aufgerollt werden, und ein kurzer Spaziergang zu Gericht reicht nicht mehr aus: Die Neuauflage findet am Landgericht in Magdeburg statt.
Grund dafür ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) Karlsruhe. Dieser gab einem Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft statt und verwarf das Hallenser Urteil. Dieses enthalte »durchgreifende Rechtsfehler«, hieß es. Im Kern geht es um die Frage, wie viel Ermessensspielraum dem OB beim Gehalt für seine Vertauten zugebilligt wird. Die Richter setzten sich über die Anträge sowohl der Verteidigung als auch der Bundesanwaltschaft hinweg, die jeweils Freispruch gefordert hatten. Wiegand nennt die Entscheidung »unverständlich«. Mit trotzigem Ton beteuerte er: »Aus meiner Sicht habe ich mich rechtskonform verhalten«. Das, sagte er mit Zuversicht, werde auch das Gericht in Magdeburg feststellen.
Aus Wiegands Sicht läuft damit eine Kampagne weiter, bei der es stets um mehr als drei Gehaltszettel gegangen war. Der 59-Jährige hatte von einer »politischen Intrige gegen einen parteilosen Oberbürgermeister« gesprochen, die »Geschichte schreiben wird«; im Gerichtssaal hatte er von einem »politischen Prozess« und einer »politisch vorgefertigten« Anklageschrift gesprochen. Die Staatsanwaltschaft wurde in dieser Sichtweise zum Werkzeug »politischer Widerstandskräfte« im Rat, die er vor allem bei CDU, SPD und FDP verortete. Diese hätten, nachdem er im Juli 2012 einigermaßen überraschend die Stichwahl um das OB-Amt gegen den CDU-Bewerber gewonnen hatte, seinen Sturz betrieben: »Man gab dem OB maximal ein halbes Jahr.«
Formal geht es indes nicht um politische Grabenkämpfe, sondern um Untreue zum Nachteil der Stadt Halle und ein potenzielles Loch in der Stadtkasse, das die Anklage auf exakt 290 457,19 Euro bezifferte. Um so viel sollte die Gehaltssumme für drei enge Vertraute, die Wiegand im Dezember 2012 einstellte, am Ende seiner siebenjährigen Amtszeit über dem eigentlich notwendigen Betrag liegen. Grund dafür: Der OB billigte seiner Büroleiterin, seinem persönlichen Referenten sowie der Referentin für Ordnung bei der Eingruppierung die Erfahrungsstufe 5 zu. Üblich ist, bei Einstellungen höchstens die dritte von sechs Stufen zu vergeben; das regelt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, auf den der BGH in einer Pressemitteilung zum Fall Wiegand ausdrücklich verwies. Dort heißt es freilich auch, bei Neueinstellungen »zur Deckung des Personalbedarfs« könne man Zeiten früherer beruflicher Tätigkeit »ganz oder teilweise (...) berücksichtigen«.
Die Richter in Halle hatten sich zu Wiegands Gunsten auf diesen Passus berufen; ihre Kollegen in Karlsruhe halten den Freispruch allein aus diesem Grund für »nicht tragfähig«; der Fall bedürfe »einer neuen Verhandlung«. Wann sie beginne, sei nicht absehbar, sagte Christian Löffler, Sprecher des Magdeburger Landgerichts, dem »nd«: »Zunächst einmal muss das Verfahren überhaupt bei uns eingehen.« Eine besondere Priorität hätten derlei Revisionsverfahren nicht.
Absehbar ist damit, das der Untreuevorwurf auch die zweite Hälfte von Wiegands bis 2019 laufender Amtszeit überschatten und weiter für Spannungen in der Kommunalpolitik sorgen wird, die ohnehin von einem Reizklima geprägt ist. In Halle waren allein vom Prozessauftakt bis zum Urteil acht Monate verstrichen. Da das Gericht in Magdeburg etwa die Frage der Berufserfahrung der drei Mitarbeiter gründlicher prüfen soll, dürfte sich auch diese Verhandlung hinziehen. Und selbst das dortige Urteil wäre kein Endpunkt: Revision in Karlsruhe wäre erneut möglich.
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