DDR-Exklave Nordrhein-Westfalen?
Als 1950 das westliche Bundesland NRW (k)ein «unlösbarer Bestandteil» der Deutschen Demokratischen Republik werden sollte
Beitritt Nordrhein-Westfalens zur DDR«: So wird auf der Webseite des nordrhein-westfälischen Innenministeriums die Intention des Abänderungsantrages der KPD-Fraktion im Landtag zur Landesverfassung zusammengefasst. Der erste Satz des ersten Artikels der künftigen Landesverfassung sollte demgemäß lauten: »Das Land Nordrhein-Westfalen ist ein unlösbarer Bestandteil der Deutschen Demokratischen Republik.« Man schrieb den 22. April 1950, als die Tinte des KPD-Antrages zu trocknen begann.
Gewiss, in den Nachkriegswirren war an Rhein und Ruhr vieles möglich: Der ersten NRW-Landesregierung gehörten mit Heinz Renner und Hugo Paul zwei Minister mit KPD-Parteibuch an. Im Landtag wurden nach den Erfahrungen des Dritten Reichs konkrete Debatten geführt über die Vergesellschaftung der Großindustrie. Die Befürworter reichten bis ins Lager der CDU, laut deren Ahlener Programm von 1947 das »kapitalistische Gewinn- und Machtstreben« einer »gemeinschaftlichen Ordnung« weichen sollte. Nur mühsam verhinderte der spätere Kanzler Adenauer die Verwendung des Wortes »Sozialismus«.
Robin Nagel, ein Design-Student aus dem Ruhrgebiet, hält die Gestaltung vieler DDR-Produkte für vorbildlich - jedenfalls in ökosozialer Hinsicht. Langlebigkeit aus Mangel statt Verschwendung aus Geldgier waren die Prinzipien zwischen Elbe- und Oder-Strand. Der 1988 in Bonn geborene Nagel betreibt die Webseite
Aber sollte tatsächlich ausgerechnet NRW, der westlichste Teil der Bundesrepublik, der DDR einverleibt werden, zur DDR-Exklave mutieren, hunderte Kilometer getrennt vom potenziellen realsozialistischen Mutterland? So suggeriert es zumindest jene PDF-Datei im DIN-A4-Format auf der Webseite des NRW-Innenministeriums, die dort seit dem April 2002 auf Leser wartet.
Der Fehler liegt im Detail: »Beitritt Nordrhein-Westfalens zur DDR« ist schlicht eine falsche Zusammenfassung. Und die verantwortet, das geht aus den Dokumenteigenschaften hervor, ein Mitarbeiter des NRW-Verfassungsschutzes.
Die wahre Geschichte ist eine andere, das belegt der Blick in alte Protokolle: Ein Bekenntnis zur »Deutschen Demokratischen Republik« fand sich bereits im ursprünglichen Allparteien-Entwurf der Landesverfassung aus dem Jahr 1947. Das Problem: 1949 wurde ein Staat gegründet, der exakt so hieß: Deutsche Demokratische Republik. Die DDR eben.
Die KPD wollte dennoch an der Formulierung festhalten: »Das Land Nordrhein-Westfalen ist ein unlösbarer Bestandteil der Deutschen Demokratischen Republik«, beantragte sie. In einer Debatte des Verfassungsausschusses des Landtages am 3. März 1950 stellte der KPD-Abgeordnete Karl Schabrod klar, dass die KPD damit ein Bekenntnis zur Einheit Deutschlands bezwecke.
Das Bundesland solle mithin »ein Bestandteil der gesamtdeutschen demokratischen Republik« werden - nicht der DDR, aber auch nicht der aus den drei westlichen Besatzungszonen entstandenen Bundesrepublik. Schabrod sprach gar, als wolle er die Verwirrung komplettieren, von der »Deutschen Demokratischen Bundesrepublik«. Inhaltlich lag er auf Linie der mächtigen Schwesterpartei SED - und von Stalins Sowjetunion, die ein einheitliches, aber neutrales Deutschland anstrebte.
Doch der SPD-Abgeordnete Heinz Kühn, ab 1966 Ministerpräsident, verspottete den KPD-Antrag als Kuriosum: Nein, nötig sei »eine andere Staatsbezeichnung«, befand Kühn, mithin ein »ganz neuer Begriff«, da »Deutsche Demokratische Republik« zwischenzeitlich »mit russischem Vorzeichen usurpiert« worden sei. Dass indes die KPD die DDR nicht um NRW erweitern wollte, war Kühn klar. Im Gegensatz zu den »Experten« des NRW-Verfassungsschutzes gut fünf Jahrzehnte später.
Die Landesverfassung ist nunmehr über 65 Jahre alt. Und nein, NRW betrachtete sich in all den Jahren nicht als Bestandteil einer DDR. Der erste Satz des ersten Artikels der Landesverfassung lautet: »Nordrhein-Westfalen ist ein Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland«.
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