Kranke Tiere, ausgelaugte Bauern

Landwirte und Kühe leiden unter niedrigem Milchpreis / Viele Höfe müssen aufgeben

  • Miriam Bunjes, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.
Schon für 46 Cent ist ein Liter Vollmilch beim Discounter zu haben, die Milchbauern sehen davon nicht einmal 30 Cent. Viele Bauern fühlen sich vor dem Milchkrisengipfel am Montag alleingelassen.

René Pilj sieht viele kranke Tiere in deutschen Kuhställen. «Und auch viele Menschen, die an den Folgen der Billigpreise für Milch zugrunde gehen - finanziell und psychisch», sagt der Klauenpfleger aus dem friesischen Jever. Pilj wird in die Ställe gerufen, wenn die Füße der Kühe, die Klauen, zu viel Horn gebildet haben - eine typische Folge von Stallhaltung, durch die es leicht zu Entzündungen kommt. Allerdings fehlt den Landwirten zurzeit das Geld, ihn zu bezahlen.

«Auch viele Tierärzte berichten, dass sie weniger und immer später zu kranken Tieren gerufen werden», sagt Pilj, der zusammen mit den in der Agrar- und Veterinärakademie AVA vernetzten Tierärzten auf die «immer größer werdende Katastrophe durch den Preisverfall der Milch aufmerksam machen will». Krankheitsraten von 60 Prozent und vorzeitiges Sterben der Milchkühe bescheinigen Tierärzte und Forscher der AVA in der «Göttinger Erklärung 2016». Verursacht durch Leistungsdruck und die bereits darauf angelegte Zucht von «Turbokühen», die immer mehr Milch geben, dafür aber nach zwei Geburten schon am Ende ihrer Lebenskraft sind. «Der Preisdruck, unter dem die Milchbauern stehen, verschärft die Situation immer weiter», sagt Pilj.

Tatsächlich ist der Milchpreis seit Monaten auf Talfahrt: Auf 46 Cent senkte zum Beispiel Discount-Marktführer Aldi den Preis für einen Liter Vollmilch, gefolgt von der Konkurrenz. Landwirte erhalten von ihren Vertragsmolkereien rund 29 Cent für den Liter Milch - im Durchschnitt. «Zum Teil bekommen sie nur 20», sagt die Göttinger Agrarsoziologin Karin Jürgens. Für die Milcherzeugergemeinschaft Milch Board errechnet sie mit amtlichen Buchführungsdaten, was die Milchproduktion die Landwirte kostet: Durchschnittlich 45 Cent. «Mehr als ein Drittel der Milchkosten werden also inzwischen durch die Erlöse nicht abgedeckt», sagt Jürgens. «Kredite können nicht bedient, Reparaturen und auch Tierarztkosten nicht gezahlt werden.» Aus Angst vor dem Ruin würde noch mehr Billigmilch produziert. Dann kommt noch mehr Milch auf den Markt und drückt den Preis. «Ein Teufelskreis», so Jürgens.

Die Milchmenge müsse reduziert werden, fordert Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Die EU-Milchquote ist seit 2015 aufgehoben, seitdem darf unbegrenzt Milch produziert werden. Eine Lösung könne nur am Markt und durch die Beteiligten gefunden werden, so der Minister bereits vor dem geplanten Milchgipfel am 30. Mai. Die Politik wolle mit finanziellen Hilfen und «im Rahmen ihrer Möglichkeit» unterstützen. Wie, das beraten Ministerium, Molkereien und Handelsvertreter am Montag beim Gipfel.

Die Auswahl der Beteiligten sorgt schon für Kritik: Weder die zuständigen Landesminister, überwiegend Grüne, noch der Milchbauernverband BDM sind eingeladen. «Der Minister möchte seine Politik im dunklen Kämmerlein besprechen, wo ihn keiner kritisiert - und lieber nicht mit denen, die ganz praktisch konkrete Vorschläge zur Lösung der Krise machen können», kritisiert Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Seine Partei hat in einem offenen Brief an den Agrarminister ein «grundlegendes Umdenken» in der Landwirtschaft gefordert. Über 4000 Bauernhöfen drohe allein in diesem Jahr der wirtschaftliche Untergang: «Ein paar Pflaster reichen nicht, um ein kaputtes System zu behandeln.»

Auch der Bundesverband deutscher Milchviehhalter sieht die Bauern «von der Bundespolitik übergangen», wie Sprecher Hans Foldenauer sagt. Er fordert, finanzielle Hilfen für die Bauern an die Reduzierung der Milchmenge zu koppeln. «Wer weniger produziert, muss unterstützt werden. Nur so kommen wir aus der Situation heraus». Freiwillige Branchenvereinbarungen zwischen Molkereien und Erzeugern seien nicht die Lösung, dafür seien die Interessen einfach zu unterschiedlich.« epd/nd

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