Endlosschleife

BVG-Urteil zum Sampling-Streit mit Kraftwerk

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Hip-Hop ist ohne Sampling nicht möglich, darum stehe ich heute hier. Ich halte das für mein gutes Recht. Es gibt keine Kunst im luftleeren Raum, es geht immer um die Auseinandersetzung mit anderer Kunst.« Gewohnt pathetisch hatte der Hip-Hop-Produzent Moses Pelham im Streit mit der Elektro-Avantgarde-Gruppe Kraftwerk argumentiert. Bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat die beiden Parteien ihr Streit um eine von Pelham ungefragt benutzte Sequenz (Sample) aus dem Kraftwerk-Song »Metal auf Metall« geführt. Am Dienstag erging das Urteil: Die Richter gaben Pelham Recht, ein früheres Urteil des Bundesgerichtshofs habe der Kunstfreiheit nicht ausreichend Rechnung getragen, der Fall müsse neu verhandelt werden. 2012 hatte der Bundesgerichtshof die Regeln zum Sampeln verschärft und etwa Lizenzgebühren gefordert.

Das neue Urteil des BVG wirft Fragen auf. Zum einen spitzten sowohl Pelham als auch Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof den Konflikt fälschlich auf die Frage zu: Ist Sampling erlaubt? Dabei ging es nie um ein »Verbot« des Samplings, sondern um Lizenzgebühren für die Nutzung fremden Eigentums. Und der Kläger, Ralf Hütter von Kraftwerk, will wohl nicht einmal dieses Geld - er will nur vor der Nutzung gefragt werden. Auch dass der Richter Kirchhof das Urteil nun mit der »Kürze der Sequenz« (ca. zwei Sekunden) begründet, zeugt von großer Ahnungslosigkeit, da Zeit in diesem Zusammenhang irrelevant ist. Ein besseres Kriterium wäre die Taktzahl - in zwei Sekunden kann durchaus der elementare Teil eines zentralen Taktes Platz finden.

Sampling beschreibt die Praxis, aus bestehenden Songs kurze Sequenzen digital zu kopieren, und etwa als Endlosschleife (»Loop«) unter ein eigenes, neues Stück zu legen. Das ist eine anerkannte und schützenswerte Kunstform des Pop. Das macht aber doch Lizenzgebühren oder eine Verständigung des Originalkomponisten nicht obsolet.

Zudem ist Sampling nicht gleich Sampling. Mann kann Elemente aus bestehenden Songs auf schnelle und billige Art und Weise eins zu eins in einen Loop verwandeln. Viele Produzenten haben aber zumindest den Ehrgeiz, zum einen abseitige Werke auszuschlachten - in dem Fall liegt die Eigenleistung schon beim Aufspüren magischer musikalischer Momente in obskuren und unbekannten Stücken. Zum anderen bearbeiten die kreativeren DJs das Sample gerne bis zur Unkenntlichkeit, versuchen also, nicht allzu offensichtlich von der Prominenz eines Rhythmus› oder einer Melodie zu profitieren.

Pelham hat das Gegenteil gemacht: Er hat ein extrem bekanntes Musikstück benutzt und das Material kaum verfremdet. Er hat eindeutig vom hart erarbeiteten Kraftwerk-Kult profitiert, aber den Komponisten angeblich nicht einmal Bescheid gesagt. Ein solches unkreatives und auch unkollegiales Verhalten verbietet sich tatsächlich. Dass der gewiefte Taktiker Pelham seine fragwürdige Praxis hinter einem wolkigen Plädoyer für die Kunstfreiheit verstecken will, ist nachvollziehbar. Kein Ruhmesblatt ist aber, dass das Gericht darauf hereinfällt. Nun geht der Streit also in die nächste (Endlos-) Schleife.

Es geht nicht um Legendenschutz oder die nächste Million auf dem Kraftwerk-Konto. Aber es wäre gut gewesen, das Gericht hätte ein Zeichen gegen (heimliche) Selbstbedienung und Gratis(un)kultur gesetzt. Das wäre eigentlich auch in Pelhams Sinne: Der hat sich schließlich eine fragwürdige Berühmtheit als knallharter Abmahner gegen »Raubkopierer« erarbeitet.

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