Der erste Rapper
Der Mann, der politisch boxen konnte - zum Tod der Jahrhundertfigur Muhammad Ali
Über Cassius Marcellus Clay den jüngeren gibt es viele mythisierte Geschichten - beginnend damit, warum der 1942 geborene Sohn eines afroamerikanischen Schildermalers aus Louisville in Kentucky um die Mitte der 1950er Jahre mit dem Boxen begann: Von dem unbekannten Dieb seines Fahrrades ist dabei oft die Rede, den der erzürnte Junge gerne kräftig verkloppt hätte. Eine spätere Autobiografie liefert eine politische Initiationsgeschichte einer der größten Sportkarrieren des 20. Jahrhunderts nach: Demnach boxte Clay, für den Großteil seines Lebens als Mohammad Ali bekannt, gegen seine Wut über den ungesühnten rassistischen Mord an dem schwarzen Jugendlichen Emmett Till im August 1955 an, der einen der Ausgangspunkte der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung markierte.
Wie auch immer gelagert seine Motivation tatsächlich gewesen sein mag: Sie trug den mit einem athletischen, 191 Zentimeter messenden Körper gesegneten Jungen aus den amerikanischen Südstaaten, schon früh auf hohe sportliche Gipfel: Nur fünfeinhalb Jahre nach seinem ersten Boxtraining wurde der 18-Jährige 1960 in Rom Olympiasieger im Halbschwergewicht und begann danach seine Profikarriere, die erst 1981 in einer Niederlage gegen den wenig bedeutenden Trevor Berbick endete; Ali war in diesem Kampf bereits von seiner Parkinsonerkrankung gezeichnet, an deren Komplikationen er nun mit 74 Jahren gestorben ist.
Der Umstand allerdings, dass Ali 1999 vom Olympiakomitee zum Sportler des Jahrhunderts ausgerufen wurde, dass er weit jenseits des Sports zu einer Figur der populären Kultur avancierte, liegt allerdings nicht nur an seinem sportlichen Meriten - und ist auch mit den politischen Seiten seiner Karriere nicht ausreichend erklärt. Sicher war es spektakulär, als der frischgebackene Schwergewichtsweltmeister 1964 mit dem nur ein Jahr später ermordeten Malcolm X auftrat, seine Mitgliedschaft in dessen Bewegung »Nation of Islam« verkündete, seinen »Sklavennamen« ablegte und sich forthin Mohammad Ali nannte. Es war politisch aufsehenerregend, dass er angesichts von Vietnam den Kriegsdienst verweigerte und 1967 aus politischem Grund seinen Titel verlor, um den er erst 1970 wieder kämpfen durfte. Und es galt vielen Zeitgenossen als ein antikoloniales Statement, dass sein legendärer Titelkampf gegen George Foreman im Oktober 1974 - der »Rumble in the Jungle« - in Kinshasa stattfand, auch wenn wohl eher steuerliche Kalküle des Boxpromoters Don King den Ausschlag gaben.
Doch haben auch andere afroamerikanische Spitzensportler dieser Zeit ihre Prominenz politisch höchst offensiv genutzt, ohne in gleicher Weise zu popkulturellen Ikonen zu werden: Wer müsste heute die Namen von Tommie Smith und John Carlos - jener Spitzenleichtathleten, die 1968 bei der Olympiasiegerehrung in Mexiko ihre mit schwarzen Handschuhen bekleideten Fäuste gen Himmel reckten - nicht erst einmal nachschlagen?
Muhammad Alis spezieller Starappeal liegt auf einer anderen Ebene: Er »erfand« eine neue Art von Sportlerpersonalität, indem er eine sozio-politische Haltung - jene vage, tief sitzende Wut deklassierter, von rassistischer Gewalt bedrohter Afroamerikaner - in einer speziellen Weise in seine sportliche Darbietung selbst transportierte. Seine boxerische Eleganz, seine verbalen wie körpertechnischen Provokationen - etwa das häufige, ostentative Boxen ohne Deckung, das seine Gegner zu wüsten Angriffen herausforderte und so oft in seine Falle laufen ließ - vermittelte eine Botschaft: Schon seine sportlichen Bewegungen brachen mit der schwarzen Opferrolle. Der kämpfende Ali war kein wüster Vorstadtschläger wie später Mike Tyson und auch keine sportliche Effizienzmaschine wie sein Dauerkonkurrent George Foreman. Er war ein Künstler, ein Prinz, ein Unangreifbarer. Schon in seinen Boxbewegungen beanspruchte er gewissermaßen einen sozialen Status, der Afroamerikanern zu seiner Zeit und zumindest teilweise bis heute verwehrt ist.
Dieses Muster einer soziopolitischen Usurpation des Ansehens und der Insignien der Oberschicht, diese Wandlung der unbestimmbaren Wut von Ausgegrenzten in Stil, in Coolness, in Überlegenheitsgesten ist bis heute der generative Kern von US-amerikanerischer »Black Culture«. Von den Jazzern und »Hipstern« der 1930er Jahre bis zu den Hip-Hop-Stars von heute reicht eine Tradition von fiktionaler Befreiung durch implizit verkörperten »Style«, durch distinguierte Bekleidung, verfeinerte Ästhetiken, durch nur für Eingeweihte erkennbare Zitate - und manchmal, vor allem in der jüngeren Rap- und Hip-Hop-Kultur, auch durch eine explizit dröhnende, halb geschauspielerte Vollmundigkeit.
Gerade auch um Letztere war Ali nie verlegen. Berühmt sind aber nicht nur seine Ausbrüche nach großen Siegen, die in einer Zeit, als »Grandstanding« - also die direkte Interaktion von Akteuren mit dem Publikum - im Sport noch als unsportlich verpönt war, als ein Rütteln an den Grundfesten des »weißen« Sports gelesen werden konnten. Schon früh wurde Ali auch dadurch bekannt, vor seinen Kämpfen herausfordernde Ansagen zu machen, nicht selten in gereimter Form: »Archie Moore will be on the floor in round four«, prophezeite er etwa vor einem seiner ersten Profikämpfe exakt seinen K.O-Sieg in der vierten Runde.
Ali, so lässt sich zusammenfassen, war nicht nur ein politischer Schwarzer, der Sport machte, sondern ein schwarzer politischer Sportler, der von rebellischer »Blackness« nicht nur sprach, sondern diese schon in seinen Sportbewegungen verkörperte. Dies war sein spezieller Reiz - und es wundert daher nicht, dass gerade er wie keine andere Sportfigur Eingang in die Pop- und besonders die Hip-Hop-Kultur gefunden hat. Anspielungen an sein Auftreten oder eine Verarbeitung von Ali-Zitaten in Rap- und Hip-Hop-Texten sind Legion; Chuck D., Frontmann der bahnbrechenden und wie Ali im Kontext des schwarzen US-amerikanischen politischen Islam verorteten Formation »Public Enemy«, nennt Ali sogar den »Erfinder« des Hip-Hop - auch wenn Alis eigene, weniger aufregende musikalischen Abwege nicht in diese Schublade passen.
Ins Bild dieser vielleicht etwas überzogenen Analogie passt auch ein letztes Detail: Die ganz große Versöhnung, ja die dann geradezu hysterische Heiligsprechung Alis auch durch den amerikanischen Mainstream fällt exakt in die Zeit um die Mitte der 1990er Jahre, als Hip-Hop vom Grund für einen Schulverweis zum konsensualen Kulturgut und größten Exportschlager der amerikanischen Kulturindustrie mutierte.
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