So viele Klischees
In Erfurt soll eine Moschee gebaut werden, der Widerstand dagegen ist groß
Taktisch betrachtet machen die Muslime viele Fehler - und der schwerwiegendste ist, den Image-Film noch einmal zu zeigen, den die Vertreter der Ahmadiyya-Muslim-Jaamat-Gemeinde schon während einer Pressekonferenz vor einigen Wochen gezeigt haben. Er ist mit einer Dauer von etwa fünfzehn Minuten nicht nur viel zu lang. Für eine Pressekonferenz. Für die Einwohnerversammlung, zu der sich an diesem Sonntagnachmittag in Erfurt-Marbach viele, bald - gemessen an den Kapazitäten - viel zu viele Menschen in den größten Raum des Ortsteils drängen. Dutzende müssen deshalb vor dem Gebäude bleiben. Drinnen sind Sitzplätze für etwa 300 Menschen, an den Rändern des Saals stehen da schon Dutzende weitere.
Der Filme beginnt auch noch mit Bildern, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigen. Neben Pfiffen und Buh-Rufen, da hat diese Einwohnerversammlung noch gar nicht richtig begonnen, schallen deshalb sofort »Merkel muss weg!«-Rufe durch den Raum. Man hätte damit rechnen können. Nicht nur, weil in Deutschland angesichts von islamistischen Terroranschlägen zuletzt in Frankreich und in Belgien, die islamische Religion unter dem Generalverdacht steht, außer Tod und Leid nichts hervorzubringen. Sondern auch, weil in Thüringen wie in keinem anderen Bundesland der völkische Flügel der AfD seit Monaten zu Demonstrationen aufruft, auf denen immer wieder gegen den Islam und auch gegen Merkel gehetzt wird. Eine der eingängigsten Parolen dort - neben »Lügenpresse! Lügenpresse! Lügenpresse!« - lautet: »Merkel muss weg!«
Die Stimmung bei dieser Veranstaltung im Freizeitzentrum des Erfurter Ortsteils ist deshalb von Anfang an hitzig. Mindestens. In einigen Ecken des Raumes haben sich zwar Menschen versammelt, die dem Projekt der Ahmadiyya-Muslim-Jaamat-Gemeinde offen gegenüberstehen: in Erfurt Thüringens erste Moschee neu zu bauen. Außer in diesen Ecken sitzen aber ganz klar die Gegner des Vorhabens im Saal. Und sie wollen weniger dem Zuhören, was die Muslime über ihre Baupläne zu sagen haben. Sie wollen vor allen Dingen deutlich machen, dass sie dagegen sind, dass in ihrer Nachbarschaft eine Moschee in der Größe eines Zweifamilienhauses entsteht - obwohl diese Moschee in einem Gewerbegebiet entstehen soll, dass am Rande des Ortsteils liegt und von kaum einem Wohnhaus im Ort selbst zu sehen ist. »Wird Dein Grundstück jetzt auch entwertet, weil Du 500 Meter Luftlinie neben einer von Dir aus gar nicht sichtbaren Moschee wohnst«, fragt ein Mann eine Frau, die neben ihm sitzt. Beide sind offenbar Nachbarn. Der Mann grinst dabei. Über eine angebliche Entwertung von Immobilien debattieren sie im Ort schon seit Wochen. Der Mann sitzt am Rand des Saals.
In der Mitte des Freizeitzentrums allerdings spielen solche Argumente keine Rolle. Ja, es gibt die Einzelnen, die dort sitzen und an diesem Nachmittag die etwa ein Dutzend anwesenden Vertreter der muslimischen Gemeinde völlig offen fragen, wie sie einem Gemeinde-Gründer folgen können, der doch dazu aufrief, das Christentum und das Judentum zu bekämpfen? Oder: Wenn die Mitglieder der Gemeinde in anderen muslimischen Ländern als Nicht-Muslime verfolgt würden, bestehe dann nicht die Gefahr, »dass wir den Krieg der Islamisten bald bei uns hier haben?« In der Mehrzahl aber kommen aus der Mitte des Saals Parolen, die ebenso von pauschaler Islamophobie durchdrungen sind wie vom Frust über - Achtung, AfD-Sprech! - »die Altparteien«, die Medien und überhaupt alles, was nicht den Vorstellungen der Moschee-Gegner entspricht.
Als sich die Moderatorin der Veranstaltung - die Grünen-Landtagsabgeordnete Astrid Rothe-Beinlich, die auch in Marbach wohnt - vorstellt, rollt beispielseiwese ein lautes »Uhhhhhhhhhaaa« durch den Saal. Als sie sagt, es seien mehrere Kamera-Teams von Fernsehsendern anwesend, die von der Veranstaltung berichten wollten, geht ein lautes Stöhnen und Ächzen durch die Menge. Als sie später von einem Mann aus der Mitte des Saals angesprochen wird, nennt er sie »Astrid Rothe-Peinlich«, so wie auch der Thüringer AfD-Landtagsabgeordnete Stephan Brandner sie zu nennen pflegt. Als der Image-Film, schallt es mehrfach »Aufhören! Aufhören! Aufhören!« durch das Freizeitzentrum. Als Merkel in dem Video den Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« sagt, rufen Dutzende und Aberdutzende Menschen »Pfuuuiiii!« Als ein Mann aus dem Publikum von den Muslimen wissen will, wo denn ihre Frauen in diesen Stunden seien, von denen sie doch stets behaupteten, diese seien ihnen gleichgestellt, flippt die Mehrheit fast aus: lautes Klatschen, Grölen und Johlen.
Und als wäre das alles noch nicht klischeehaft genug: Diejenigen, die die Hände bei pauschalen, islamfeindlichen Parolen so energisch zusammenwerfen, als ginge es bei diesem Bauprojekt in Erfurt um nichts weniger als den Fortbestand des Abendlandes, sind vor allem weiß, männlich und haben graues Haar. Oder graue Haarreste. Soziologische Analysen unter anderem zur islamfeindlichen Pegida-Bewegung haben in den vergangen Monaten immer wieder herausgearbeitet, dass genau solche Menschen die Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft ablehnen: ältere, weiße, wütende Männer. Zu dieser Beobachtung passt auch, dass diejenigen, die am Rand des Saals neben dem Eingang stehend immer dann applaudieren, wenn sich jemand für die Moschee in Marbach ausspricht, in der Mehrheit höchstens den Berufseinstieg hinter sich haben: Dort haben sich viele junge Leute versammelt.
Dass die Emotionen während dieser Einwohnerversammlung mehr als zwei Stunden lang so hoch schlagen, mag irgendwie nicht überraschen. Der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya-Muslim-Jaamat-Gemeinde, Abdullah Uwe Wagishauser, hatte schon in der Vergangenheit erklärt, er und seine Glaubensbrüder hätten bereits die Erfahrung gemacht, es sei in Deutschland ungefähr so einfach, eine Moschee zu bauen, wie den Bau eines Atomkraftwerks zu realisieren. In diesem Sinne antwortet er auch dem Mann, der ihn fragt, wo denn seine Frau sei. »Meine Frau«, sagt Wagishauser, »hat inzwischen mitbekommen, wie solche Veranstaltungen laufen. Sie reißt sich nicht gerade darum, an so was teilzunehmen.« Während Wagishauser das sagt, gehen einige Muslime durch die Reihen der Zuschauer und verteilen an Befürworter wie an Kritiker ihres Projektes Wasser.
Allerdings muss man dann aber doch überrascht sein, wie laut und heftig der Widerstand gegen das Bauprojekt tatsächlich ist - immerhin gilt Erfurt-Marbach nicht gerade als ein sozialer Brennpunkt der Landeshauptstadt. Im Gegenteil. Nach den Statistiken der Stadt leben inzwischen fast 4000 Menschen hier. Wie kaum ein anderer Ortsteil Erfurts ist der Stadtteil in den vergangenen 20 Jahren gewachsen. Im Jahr 1995 lebten nur etwa 1000 Menschen in Erfurt-Marbach. Vor allem Mitglieder des gehobenen Bürgertum haben sich dort seitdem Eigenheime gebaut: Ärzte, Juristen, Betriebswirtschaftler, Architekten. Solche Leute. Und manch einer von ihnen spricht sich sogar während der Einwohnerversammlung offen für den Bau aus; wie etwa ein Richter. Das gesellschaftliche Klima in dem Ortsteil konnten die Zugezogenen aber entweder offenbar nicht nachhaltig beeinflussen. Oder auch sie haben in der Mehrzahl tief verwurzelte Vorurteile gegenüber dem Fremden. Die jedes Jahr weithin beachteten Ergebnisse des Thüringen Monitors sprechen für Letzteres.
Und gerade deshalb ist es dann eben doch kein Zufall, dass der bemerkenswerteste Einwurf des Abends von einer 17-Jährigen kommt, die ans Mikrofon im Inneren des Gemeindezentrums tritt, während draußen ein paar ebenfalls ziemlich junge Leute Flyer an parkenden Autos heften. Auf denen steht: »Sichere Grenzen. Innere Sicherheit. Unsere Zukunft.« Im Inneren des Faltblatts ist von »der Asylkatastrophe und vom vorbildlichen Widerstand dagegen« die Rede. Die junge, blonde Frau - sie, für die nach den Worten des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke »die Angsträume« doch eigentlich immer größer werden müssten - sagt: Sie sei tatsächlich zunächst besorgt wegen der Pläne der Muslime gewesen. Dann aber habe sie, die auch in Marbach lebt, sich mit der Gemeinde beschäftigt. Nun sei sie für den Neubau. Eine Moschee sei doch ein schönes Gebäude. Wenn sie überhaupt etwas ärgere, sagt die Frau, dann dass die Moschee direkt an einer Bundesstraße und nicht an einem schöneren Ort entstehen solle. Das muslimische Gotteshaus habe Besseres verdient als den vorangefragten Bauplatz.
Die Mehrheit in der Saalmitte klatscht auch da laut.
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