Flüchtlinge haben nichts verbrochen

Öffentliche Kritik an Abschottungspolitik der EU und Missbrauch der Opfer für politische Ziele

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
21. Juni ist Weltflüchtlingstag - in diesem Jahr ein Anlass zu Warnungen in alarmierenden Tönen. Erneut ist die Europäische Union das Ziel deutlicher Kritik.

Die EU verspiele ihre Glaubwürdigkeit - so lautet das Fazit des Deutschen Instituts für Menschenrechte anlässlich des Weltflüchtlingstags am Montag. Mit Blick auf das Abkommen der Union mit der Türkei ist in einer Stellungnahme die Rede von einer Sackgasse - direkt nach ihrer Ankunft würden Flüchtlinge in so genannten Hot Spots inhaftiert. «Dies widerspricht dem strengen Verhältnismäßigkeitsprinzip beim Menschenrecht auf Freiheit - denn die Schutzsuchenden haben kein Verbrechen begangen, sondern nehmen nur ihr Menschenrecht auf Asyl wahr. Die Situation in den »Hot-Spots« werde durch Überbelegung, mangelhafte Nahrungsversorgung und fehlenden Schutz für Kinder, allein reisende Frauen und andere verletzliche Gruppen zusätzlich verschärft.

Deutschland wird aufgefordert, von seinen »vielfältigen Möglichkeiten« Gebrauch zu machen, um seiner menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden - unabhängig davon, dass andere EU-Länder nicht in angemessenem Umfang zur Aufnahme Schutz suchender Menschen bereit seien. So könnte Deutschland etwa zügig Visa an Menschen erteilen, die in Griechenland festsitzen und bereits Verwandte in Deutschland haben, empfiehlt das Institut.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge appellierte an alle Staaten, durch gemeinsame Aktionen in diesem Jahr einen Wendepunkt in der Flüchtlingskrise herbeizuführen. Staats- und Regierungschefs müssten sich ihrer »kollektiven Verantwortung« stellen und auf die Eindämmung bewaffneter Konflikten hinwirken, die Millionen von Menschen in die Flucht trieben, erklärte Filippo Grandi am Montag in Genf. Nach neuen Zahlen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen sind derzeit weltweit über 65 Millionen Menschen auf der Flucht - mehr als je zuvor. Mehr als 40 Millionen von ihnen seien Vertriebene innerhalb ihrer eigenen Staaten, was ebenfalls ein »trauriger Rekord« sei. Die meisten Menschen seien durch den Syrien-Krieg sowie die bewaffneten Konflikte im Irak und in Afghanistan in die Flucht getrieben worden. Grandi wies auf die im September in New York geplante Sondersitzung der UN-Vollversammlung zur Flüchtlingsproblematik hin. Es sei zu hoffen, dass sich bis dahin mehr Regierungen bereit erklärten, »im Geiste der globalen Solidarität Verantwortung für Flüchtlinge zu übernehmen«.

Die Türkei wies am Montag den Vorwurf zurück, türkische Grenzschützer hätten auf syrische Flüchtlinge geschossen. Man gehe an der Grenze lediglich gegen Schmuggler und Terroristen vor. In der Nacht zum Sonntag seien mindestens elf Flüchtlinge aus Syrien erschossen worden, hatte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet.

Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl warnte vor einer Kultur der Gleichgültigkeit. Das Recht, in Europa Asyl zu suchen, werde Schritt für Schritt eingeschränkt. »Bald wird es nur noch auf dem Papier existieren, faktisch für Schutzsuchende aber nicht mehr erreichbar sein«, so Geschäftsführer Günter Burkhardt in einer Erklärung. Die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik werde zunehmend in den Dienst der Flüchtlingsabwehr gestellt. Mit dem Ergebnis, dass in diesem Jahr bereits Tausende Menschen im Mittelmeer beim Versuch ertranken, in die EU zu gelangen. Grund sei der Deal mit der Türkei, der die Menschen auf immer gefährlichere Fluchtrouten zwinge.

Internationale kirchliche Dachverbände mahnten ihre Mitgliedskirchen am Montag zu mehr Engagement. Die Kirchen und kirchennahen Organisationen in Europa sollten verstärkt auf rechtliche Verbesserungen für die Flüchtlinge dringen, erklärten die Verbände aus Brüssel, Genf und Utrecht am Montag. Bisher seien die Kirchen zu zögerlich, urteilten die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (KKME), der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) sowie die Protestantische Kirche in den Niederlanden. Die Flüchtlingskrise sei auch eine Krise der öffentlichen Wahrnehmung, die häufig für politische Zwecke manipuliert werde. So werde die Situation häufig als Sicherheits- statt als humanitäre Krise missverstanden, erklärten sie.

Am gleichen Tag lieferte der Verfassungsschutzchef in Thüringen ein neuerliches Beispiel für diese These. Unter den Flüchtlingen seien nach seiner Überzeugung auch Spione, teilte Stephan Kramer öffentlich mit. Gewiss ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen. Ohne Beleg und Beispiel jedoch ist solch eine Äußerung allein dazu geeignet, zur Kriminalisierung aller Flüchtlinge beizutragen. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.