Weiter so in Brüssel
Russland will sich modernisieren und der Westen Handel treiben - doch die Sanktionen bleiben und lösen kein Problem
Für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko war eine andere Entscheidung gar nicht denkbar. Zur Bestrafung Russlands durch die EU gebe es »keine Alternative«, erklärte er bei seinem Frankreichbesuch. Die russischen Truppen müssten abgezogen werden, und begründet wird die Verlängerung schließlich durch mangelnde Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zur Lösung der Ukrainekrise.
Letzteres sieht sein russischer Amtskollege ganz genau so. Nur dass Wladimir Putin anmerkt, die vereinbarten ukrainischen Verfassungsänderungen bis Ende 2015 seien vertragswidrig immer noch nicht durchgesetzt. Nicht nur er sieht Kiew in der gleichen Pflicht wie Moskau bei der Umsetzung der Vereinbarungen und sich selbst außerstande, allein das ganze Minsk zu leisten.
Die Verlängerung der Sanktionen durch die Botschafter der 28 EU-Länder um weitere sechs Monate kam nicht überraschend. Die Einschränkungen vor allem der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen wurden erwartet, die Bestätigung am Freitag gilt als sicher.
Jedoch wachsen die zunehmend auch öffentlich geäußerten Bedenken, ob solche Maßnahmen auf längere Sicht zweckmäßig seien. Die EU-Granden wollen sich damit derzeit aber offenbar nicht abgeben. Europa steht unmittelbar vor dem britischen Schicksalsreferendum über das Fortbestehen der Gemeinschaft in ihrer bisherigen Form. Dabei geht es immerhin um die physische Einheit des Staatenbundes.
Die Sanktionen zeigen natürlich Wirkung. Der Nutzen aber bleibt zweifelhaft, der Schaden hingegen offenkundig. Natürlich leidet die russische Wirtschaft in zählbaren Prozenten, aber das auch unter sich selbst. Allzu lange sind im Rausch der sprudelnden Erdöleinnahmen die nötigen Strukturveränderungen hin zu einer international in einem größeren Maße konkurrenzfähigen Industrie stecken geblieben.
Kremlstabschef Sergej Iwanow zeigt sich sogar dankbar, wenn er - »ich persönlich« - erklärt, wenn man schon kein Glück habe, müsse eben das Unglück helfen. Unter Druck werde nun die Diversifizierung der russischen Ökonomie vorankommen. Dazu wiederum bedürfte es aber sicher auch der Modernisierung mit einiger westlicher Technologie.
Die Sanktionspolitik hinterließ auch in der EU-Wirtschaft Milliardenspuren: Bis 2015 gingen Exporte nach Russland um ein Drittel zurück. Hart getroffen werden europäische Landwirte, denn Moskau hat im Gegenzug ein Einfuhrverbot für deren Produkte verhängt. Wegen der Milliardenverluste werben in Deutschland Wirtschaftsvertreter für eine Lockerung. Die bayerische Wirtschaft und die CSU lassen wissen, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen zu einer Zäsur geführt hätten und »drohen zu einer Entflechtung der Wirtschaftsräume zu führen. Sie haben auf beiden Seiten erhebliche wirtschaftliche Einbrüche ausgelöst.«
Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt baut auf eine baldige Wiederaufnahme des blockierten Agrarhandels. »Ich gehe davon aus, dass Russland in Zukunft wieder ein bedeutender Abnehmer für unsere Milchwirtschaft wird«, sagt der CSU-Politiker der Zeitschrift »Super Illu«. Er reist im Juli nach Moskau: »Wir wollen die Grundlagen dafür schaffen, dass wir wieder loslegen können, wenn die politischen Voraussetzungen erfüllt sind.«
Die politische Wirkung der Sanktionen verfehlt ihr Ziel deutlich. »Je stärker der Druck, desto härter der Beton«, singt Russlands Popstar Oleg Gasmanow unter Beifall. In seinem Videoclip marschieren die Sieger des Großen Vaterländischen Krieges in die Schlacht und reißen die heutigen Patrioten mit. Die Sympathiewerte des Kremlchefs sind in Ukrainekrise und westlicher Strafaktion nur gestiegen.
Im Westen hingegen scheint die inhaltliche Geschlossenheit anfällig. Deren Reparatur kann nur aufgeschoben werden. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault will beim EU-Gipfel kommende Woche über den künftigen Umgang mit den Sanktionen befinden. Es könne nicht um eine automatische Verlängerung gehen, »es muss eine Debatte geben«. Ähnlich sieht das Italiens Regierungschef Matteo Renzi und Zypern wie Griechenland gelten ohnehin länger schon als Kritiker des Konfrontationskurses. Einen »Teufelskreis« aus »Sanktionen, Militarisierung und einer Rhetorik des Kalten Kriegs« sieht der griechische Regierungschef Alexis Tsipras. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach sich bereits für eine grundsätzliche politische Bewertung aus, »wie der weitere Weg zur Lösung des Konflikts in der Ukraine aussieht«. Mit Agenturen
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!