Kein Geschiss
Nachruf: Wolfgang Welt
Die haben kein großes Geschiss um mich gemacht«, sagt der Schriftsteller und ehemalige Musikjournalist Wolfgang Welt in einem vierminütigen Kurzporträt, das das Fernsehen einmal über ihn gedreht hat, über das Unternehmen Suhrkamp, seinen Verlag. Da war der schon seit vielen Jahren gesundheitlich angeschlagene und auf Psychopharmaka angewiesene Mann schon lange als Nachtpförtner des Schauspielhauses Bochum tätig und hat nur noch selten geschrieben. Dass Welts eigenwilliges, kunstvoll hingerotztes Prosawerk (»Kaum aus der Psychiatrie entlassen, holte ich mir auf meiner Mansarde einen runter«), dessen überwiegender Teil in den 80er Jahren entstand, überhaupt irgendwann bei Suhrkamp erscheinen konnte (und zwar mit extremer Verspätung, im Jahr 2006), ist dem Schriftsteller Peter Handke zu verdanken, der von der Verlagsleiterin energisch verlangt haben soll, dass Welts bis dahin in Kleinstauflagen kursierende Romane endlich wiedererscheinen. Die Chefin willigte ein.
Der in Bochum geborene und aufgewachsene Welt, der von 1979 bis 1984 für ein relativ läppisches Zeilenhonorar als eine Art rasender Reporter für Musikmagazine und das Ruhrpott-Stadtmagazin »Marabo« schrieb und dabei einen erfrischend unverfrorenen und kühnen Stil kultivierte, erkannte schon im Jahr 1982 den Größenwahn und die Selbstverliebtheit des Schlagersängers Heinz-Rudolf Kunze. Dieser sei eine »Null«, ein »Streber«, ein »singender Erhard Eppler« und »ein Mensch, der am liebsten den Nobelpreis für Literatur, jedes Jahr eine Goldene Schallplatte und den Orden wider den tierischen Ernst gleichzeitig erhalten möchte«, kommentierte Welt damals klarsichtig. Und über die Performancekünstlerin und Dauerquatschquasslerin Nina Hagen urteilte er: »Es ist einfach unerträglich, wie sie kauderwelschend ihre Botschaften verkündet, so als habe sie zu oft Heinrich Lübke zugehört.«
Irgendwann katapultierte sich Welt, der lange Kettenraucher war und exzessiv Alkohol und Medikamente konsumierte, ins Aus: Er landete in der Psychatrie. Die Diagnose lautete: schizophrene Psychose.
1986 erschien Wolfgang Welts autobiografischer Debütroman »Peggy Sue«. Weitere Romane folgten.
Welts frecher Ton und sein bedingungslos wahrhaftiges Erzählen passten nicht in den öden deutschen Literaturbetrieb, der das Talent des Autors lange missachtete. Die Romane und Reportagen Welts wurden nur von wenigen gelesen, diese aber wurden zu glühenden Verehrern.
Seit 1991 hat das Bochumer Schauspielhaus den Schriftsteller als Nachtpförtner beschäftigt. Aus seinen Büchern las er nur noch selten öffentlich vor. Am vergangenen Sonntag ist Welt im Alter von 63 Jahren gestorben. tbl
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