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Ein Atommeiler wird ausgeweidet

Etwa zwanzig Jahre dauert es, bis es anstelle eines Kernkraftwerks wieder eine Wiese gibt - ein Bericht aus Bayern

  • Bastian Benrath, Grafenrheinfeld
  • Lesedauer: 5 Min.
Vor einem Jahr ging das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern vom Netz. Wie sieht es jetzt im Innern aus - und was bedeutet die Abschaltung für die Menschen, die dort arbeiten? Ein Ortsbesuch.

Im Kontrollbereich eines Atomkraftwerks gibt man sich nicht die Hand. Zu groß ist die Gefahr, dass an den Einmalhandschuhen ein paar Partikel radioaktiven Staubs kleben. Damit man die Kontamination nicht weitergibt, nickt man sich nur freundlich zu, ohne sich zu berühren. Das AKW Grafenrheinfeld bei Schweinfurt in Unterfranken ist vor einem Jahr vom Netz gegangen. Regeln wie diese sind in seinem Inneren trotzdem noch notwendig - und werden das auch noch eine ganze Zeit lang bleiben.

Sascha Haberland zieht sich um, bevor er den A-Teil betritt. Über seinem Hemd knöpft er einen leuchtend orangefarbenen Kittel zu. Dann zieht er orangerote Überschuhe aus Gummi an, die bis unters Knie gehen. Er schlüpft in Einmalhandschuhe aus weißer Baumwolle, die einen undefinierbaren Geruch verströmen. Auf den Kopf setzt er einen gelben Helm. Der A-Teil ist das Allerheiligste des Kraftwerks, dort befinden sich Reaktor und Abklingbecken. Männer in grünen Overalls von der Abteilung Strahlenschutz achten beim Betreten des »Kontrollbereichs« sehr genau auf die vorgeschriebene Schutzkleidung.

Haberland, 35 Jahre alt, hellbrauner Vollbart und norddeutsche Mundart, hat umgeschult. Bis vor einem Jahr hat er in Grafenrheinfeld die Reaktorphysik geleitet. Nun leitet er den Teilbereich Entsorgung. »Ich war am 27. Juni beim Abschalten mit auf der Warte«, sagt er. »Das war ein ergreifender Moment.«

Er hält seinen Ausweis vor einen Kartenleser, es piepst. Ganz langsam schwingt die gut zwanzig Zentimeter dicke Stahltür auf. Dahinter liegt eine Röhre, die an ein U-Boot erinnert. Hat sich die Tür wieder geschlossen, wird Luft aus der Schleuse gepumpt. Man merkt davon nichts, doch im Reaktorraum herrscht Unterdruck. Radioaktiver Staub kann so nicht nach draußen wehen, alle Luft zieht nach innen. Es ist ein Irrglaube, dass alles im Innern eines Atomkraftwerks fortlaufend strahlt. Wohl aber gibt es verstrahlten Staub im Innern. Ziel von Schleuse, Schutzkleidung und Sich-nicht-die-Hand geben ist, dass der Staub nicht nach draußen kommt.

Mit einem Fahrstuhl geht es auf 21,5 Meter über dem Boden. Der Reaktorraum ist hoch und kreisrund, es dominiert die Farbe beige: Linoleum, Wände und Decke. Haberland lehnt sich an das Geländer des Abklingbeckens. Er deutet hinüber zu einer großen, freien Fläche. »Darunter ist der Reaktor. Und auch wenn der noch liefe, würden wir hier davon nichts merken.«

Es ist tatsächlich wenig davon zu spüren, dass hier mal eine der am umstrittensten Technologien am Werk war. Der Raum wirkt eher wie eine Mischung aus Schwerindustrie und Krankenstation. Doch wenn der Reaktor noch liefe, wäre es wohl wärmer. Ein Kernreaktor erzeugt Hitze, die Wasser verdampft, woraus mit Turbinen Strom erzeugt wird. Ein wenig von dieser Hitze erzeugen die Brennelemente auch außerhalb des Reaktors noch. Deshalb liegen 193 von ihnen, die letzte Ladung, die in Grafenrheinfeld Strom erzeugte, noch im Abklingbecken. Insgesamt fünf Jahre kühlen sie in dem blauen, entsalzten Wasser ab.

Auch danach bleiben sie vor Ort. Es ist noch unklar, wo der Atommüll in Deutschland hin soll. Also werden die Brennstäbe, in Castor-Behältern, erstmal im Zwischenlager verwahrt, einer Halle auf dem Kraftwerksgelände. Auch für schwach- und mittelradioaktive Abfälle, wie Bauschutt, der beim Abriss anfallen wird, will der Betreiber E.on vor Ort ein Zwischenlager bauen.

Schon vor dem 27. Juni 2015 hat Haberland den Reaktor viele Male heruntergefahren, wenn er für die regelmäßigen Revisionen vom Netz ging. »Ich find's schade«, sagt er. »Es ist eine sehr effiziente Art der Energieerzeugung.« Trübsal blasen würde er jetzt aber nicht, die neue Arbeit bei der Entsorgung fordere ihn. »Ein altes Projekt ist zu Ende gegangen, jetzt habe ich ein neues.«

Die Hauptarbeit der Entsorgung findet im »D-Gebäude« statt. Dort muss jedes abgebaute Bauteil auf Radioaktivität überprüft werden, bevor es den Kontrollbereich verlassen darf. Haberland geht durch einen unterirdischen Gang dorthin. Männer in grünen Overalls nehmen sich gerade den grün lackierten Teil einer Pumpe vor. Langsam fährt es in einen Panzerschrank. Ein Mitarbeiter drückt einen Knopf, die Tür schließt sich. Im Innern wird jetzt die Radioaktivität des Teils gemessen.

Ist ein Bauteil noch zu radioaktiv, landet es auf der Palette mit dem gelben Aufkleber »Zum Dekont«. Dann schmirgeln Fachleute die Oberfläche ab oder versuchen anderweitig, es zu reinigen. »Es geht darum, das Volumen zu reduzieren«, erklärt Haberland. »Unser Ziel ist, nur die Materie einzulagern, die auch wirklich radioaktiv ist.« Nur der Abrieb kommt ins Endlager, der Rest wird normal entsorgt.

Der Computer druckt ein Etikett. Alles ist gut gegangen: Die Radioaktivität des Pumpenteils liegt unter den gesetzlichen Grenzwerten. Der Mitarbeiter vom Strahlenschutz klebt das Etikett auf das Bauteil. Nun kann es wie normaler Schrott entsorgt werden. Atomkraftgegner wie der Bund Naturschutz kritisieren dieses »Freimessen«: Sie sagen, die Teile seien immer noch radioaktiv, sie müssten stattdessen gekennzeichnet und gesammelt werden.

Der Abriss des Atomkraftwerks basiert trotzdem auf dem »Freimessen«. Die Techniker von E.on planen, zunächst alle Teile im Innern des Reaktorgebäudes abzubauen und auf diese Weise zu entsorgen. Deshalb bleibt die Silhouette von Grafenrheinfeld erstmal gleich. Sechzehn Jahre, bis ungefähr 2032, läuft der Rückbau nur im Innern. Ist dann nichts Radioaktives mehr drin, will der Betreiber einen Antrag auf Entlassung aus dem Atomgesetz stellen. Dann erst kommen die Bagger. Bis 2035 soll Grafenrheinfeld wieder »grüne Wiese« sein. Der Betreiber, so viel ist jetzt schon klar, wird dann nicht mehr E.on sein: Anfang Juni beschloss das Unternehmen, alle Atom- und Kohlekraftwerke in die neue Firma »Uniper« auszugliedern.

Sascha Haberland ist fertig mit seinem Rundgang. Er tritt in den Scanner am Ausgang. »Guten Tag. Füße positionieren«, sagt eine Computerstimme. Er drückt die Fersen gegen die Rückwand der Kabine und hebt die Hände. Die Maschine zählt herunter: »Zwei, Eins«. Dann: »Keine Kontamination. Bitte durchgehen.« dpa/nd

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