Piketty kritisiert deutschen Exportnationalismus

Französischer Ökonom gibt Berlin Hauptschuld an Brexit-Votum und wirtschaftlicher Spaltung der EU: Deutsche wollen »andere dominieren«

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Der französische Ökonom Thomas Piketty sieht im deutschen Exportnationalismus und in der Berliner Krisenpolitik die Hauptgründe für die EU-Krise und antieuropäische Stimmung. Zusammen mit der sozialdemokratischen Regierung in Frankreich trage die Bundesregierung so auch »Schuld daran«, dass es in Großbritannien zu einem von rechts getragenen Anti-EU-Referendum gekommen ist. Berlin und Paris »haben aus rein egoistischen Gründen zugelassen, dass Europa immer tiefer in der Krise versinkt«, sagte der Ökonom gegenüber mehreren europäischen Zeitungen. Piketty hatte mit seinem Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« weltweit für Aufsehen gesorgt, darin geht es um die wachsende Spaltung zwischen Vermögensbesitzern und Beschäftigten sowie um die politischen Folgen davon.

Für Piketty trägt die Politik in Deutschland »sicher die Hauptverantwortung«. Berlin führe sich »als Besserwisser auf, was für den Rest der Europäer schlicht unerträglich ist. Es ist auch irrational, denn dadurch, dass man die Länder Südeuropas in den Würgegriff nimmt, werden die Kredite nicht schneller zurückgezahlt. Man spürt dahinter die Lust, bestrafen zu wollen, die mit Nationalismus zu tun hat.« Dies sei zwar nicht der Nationalismus von rechten Parteien wie der britischen Ukip oder dem französischen Front Natioal - aber ein »softer Nationalismus«, einer durch Exportpolitik.

Deutschland hat einen Handelsbilanzüberschuss von acht Prozent des Bruttosozialproduktes - für Piketty ist das »absurd«, der Ökonom sagt, das habe es auch »seit der industriellen Revolution nicht gegeben«. Exporte müssten, so sieht es Piketty, »im Verhältnis zu dem stehen, was man importieren muss«. Dies sei bei der Bundesrepublik aber nicht der Fall. »Für mich gibt es keine andere Deutung als den Willen, andere dominieren, andere Länder besitzen und an ihrer Stelle produzieren zu wollen.« Und »wenn alle Länder wie Deutschland ein positive Handelsbilanz hätten, könnte es nicht so funktionieren. Niemand könnte dann einen derartigen Handelsbilanzüberschuss absorbieren.«

Folgt man Piketty, liegt der Schalter für eine politische Kehrtwende in Europa in der Bundesrepublik. »Deutschland muss schlicht bei sich investieren und die Gehälter erhöhen«, so Piketty. Deutschland habe im Jahr 2000 Angst gehabt, »dass die Wiedervereinigung nicht gelingt, dass die Wirtschaft schlapp macht und das Land ins Handelsbilanzdefizit gerät. Diese Angst hat zu einem exzessiven Verhalten geführt. Man hat übertrieben. Irgendwann muss man dann eingreifen, regulieren, jedenfalls wenn man eine Währungsunion aufrechterhalten will«, so der Ökonom mit Blick auf die so genannte Agenda 2010, die einen entscheidenden Beitrag zur Vertiefung des deutschen Exportnationalismus geleistet hat.

Im Sinne des Erhalts europäischer Kooperation und zur Abwehr der wachsenden Gefahr von Rechts plädiert Piketty dafür, politische Angebote an Linksregierungen zu machen, mehr noch: Er würde sogar an den französischen Präsidenten Francois Hollande und Kanzlerin Angela Merkel den Appell richten, mehr »auf die linksradikalen Parteien wie SYRIZA und Podemos« zu blicken. »Sie sind nicht perfekt, sie haben keinerlei Machterfahrung, aber sie sind sehr weniger gefährlich als die britischen, ungarischen und französischen Rechtspopulisten, denn sie denken zumindest international«, so Piketty. Es müsse zudem »jetzt eine klare Nachricht an Spanien und Südeuropa« gesandt werden, »dass wir ein Moratorium brauchen und die Schulden nicht zurückgezahlt werden müssen, solange es kein Wachstum gibt«. vk

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