Eine sozialistische Kaffeetasse?

Zur Ausstellung »Alles nach Plan? - Formgestaltung in der DDR« in der Alten Schmiede der Kulturbrauerei

  • Bernd Havenstein
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es gab kein DDR-Design.« So kommt es unisono aus den Mündern der für diese Ausstellung interviewten Fachleute. Die sich da auf den kleinen Bildschirmen an den Ausstellungstafeln äußern, sind die in der DDR tätig gewesenen Industriedesigner Rene Enter, Carl Claus Dietel, Marlies Ameling, Christa Bohne, der Designpublizist Günter Höhne und der einstige Staatssekretär und Leiter des Amtes für industrielle Formgestaltung Martin Kelm. Den im Westen Deutschlands sozialisierten Besucher mag das verwundern, denn ist er nicht eben aus dem benachbartem »DDR-Museum« in diese kleine Ausstellung gekommen, um sich über »DDR-Design« zu informieren?

Die fünfköpfige Projektgruppe (alles Frauen) unter Leitung von Gabriele Zürn tat gut daran, sich in Vorbereitung dieser Ausstellung intensiv mit Designern und anderen Fachleuten aus der DDR zu unterhalten. Das gibt der Ausstellung in Text, Bild und Interview eine gute Basis, und der Besucher erfährt etwas über die Leitbildfunktion des Bauhauses auch in der DDR. Zugleich informiert die Schau über die Schwierigkeiten der Akzeptanz industrieller Formgestaltung, denn die aus der Arbeiterklasse stammenden Parteifunktionäre der SED fühlten sich eher durch gediegene deutsche Handwerkskunst des 19. Jahrhunderts angesprochen.

Erst mit der Etablierung des Amtes für industrielle Formgestaltung ab 1972 war es möglich, in den Kombinaten und Betrieben Formgestalter von der Idee bis zum fertigen Serienprodukt einzubeziehen. Vorher war dies abhängig davon, ob sich ein Betriebsdirektor nicht nur als Ökonom, sondern auch als Fabrikant einer Produktkultur im Sozialismus verstand. Und das waren eben - leider - die wenigsten. Diese Grundierung gelingt der Ausstellung recht gut, und es wird deutlich, worum es den befragten Gestaltern mit ihrer eingangs zitierten Aussage ging: Es gab zwar Design in der DDR, aber weder eine sozialistische Kaffeetasse noch ein sozialistisches Radio.

Die gegenständliche Seite - die der Exponate - gerät leider zum Ärgernis. Zur Vorgeschichte ist folgendes mitzuteilen: Das Amt für industrielle Formgestaltung und seine Vorgänger haben in der DDR seit 1952 mit dem Sammeln von Industrieerzeugnissen begonnen. Während das Amt als Regierungsorgan 1990 aufgelöst wurde, überlebte die Designsammlung mit Bibliothek und Fotothek die Wende. Sie existierte unter wechselnden Trägerschaften bis 2005 und schaffte es sogar, jährlich eine Ausstellung auf die Beine zu stellen. Ab dem Jahresende 2005 ging die Sammlung in den Bestand des Hauses der Geschichte über. Die Sammlung wurde zwar aus zerstörerischen Depotverliesen gerettet und in klimatisierte Hochregallager überführt, aber nicht mehr gezeigt. Erst im November 2013, nach acht Jahren, kam ein kleiner Bestandteil wieder ans Tageslicht: eingebettet in eine gewollt klaustrophobische DDR-Panoptikum-Ausstellung. Dagegen regte sich Protest von verschiedensten Personen, Verbänden und Stiftungen.

Nach weiteren drei Jahren nun also endlich eine Ausstellung - leider nur eine zeitweilige - mit den gestalteten Industrieerzeugnissen aus der DDR. Das Ärgernis besteht darin, dass jeweils nur ein oder zwei Produkte aus einem Sortiment herausgegriffen wurden, um sie dann im Begleittext mit allerlei Negativaussagen zu charakterisieren. Zu sehen ist etwa das Modell eines Bobschlittens, 1989 mit dem Preis »Gutes Design« ausgezeichnet. Der Begleittext vermerkt: »Unter Geheimhaltung entwirft der VEB Flugzeugwerft Schlitten für den Leistungssport der DDR.« Die westeuropäische Luftfahrtindustrie in Hamburg und Toulouse führt ihre Entwicklungsarbeit wahrscheinlich unter dem Motto »Tag der offenen Tür« durch.

Es sind keine Entwicklungslinien, es ist auch nicht die Breite von Elektro-Haushaltgeräten, Radios, Glas, Keramik, Porzellan, Deko-Stoffen, Spielzeug, Möbeln, Werkzeugen, Bestecken und Tafelgerät zu sehen. Das von Christa Bohne ab 1959 entworfene Edelstahl-Tafelgerätesortiment mit dem dazugehörigen Besteckmodell 120 zum Beispiel (hergestellt im VEB Auer Besteck- und Silberwarenwerke Aue), eingesetzt in allen Interhotels und gehobenen Gaststätten, wird nur mit zwei Kaffeekannen vorgestellt: Diese zeigen dann anhand ihrer Deckelausführungen auch noch eine qualitätsmindernde Abweichung vom ursprünglichen Entwurf. Dem Besucher wird damit die edle Anmutung dieses Ensembles, das seine gestalterische Inspiration durch den großen Gestalter Wilhelm Wagenfeld erkennen lässt, vorenthalten. So wird ihm die sinnliche Wahrnehmung der Produktkultur in der DDR - die mit ihren besten Stücken schon zum längst akzeptierten Bestandteil deutscher Designgeschichte gehört - verwehrt.

Wer eine souveräne Präsentation ostdeutscher Produktkultur erleben möchte, sollte nach Leipzig ins Grassi-Museum fahren.

Der Autor war von 1978 bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt für industrielle Formgestaltung. Von 2004 bis 2005 war er bei der Sammlung Industrielle Gestaltung und von 2008 bis 2010 als Dokumentar bei der Sammlung industrielle Gestaltung beschäftigt.

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