Frankreich: Valls setzt Arbeitsgesetz erneut per Dekret durch
Premierminister greift auf auf Artikel 49.3 zurück / Parlament darf nicht abstimmen, Misstrauensantrag wird diskutiert / Gewerkschaften protestieren
Update 16.15 Uhr: Gewerkschaft: 45.000 protestierten gegen Arbeitsgesetz
Laut der französischen Gewerkschaft CGT demonstrierten am letzten großen Protesttag vor dem Sommerferien rund 45.000 Menschen in Paris, die Polizei spricht von höchstens 7.500 Demonstranten.
Update 15.45 Uhr: Diskussion über Misstrauensantrag
Wenn innerhalb der nächsten 24 Stunden kein Misstrauensantrag gegen die Regierung gestellt wird (»motion de censure«), gilt das Arbeitsgesetz auch in dieser Lesung als angenommen. Nach der erneuten Barbeitung durch den Senat gibt es eine dritte Lesung im Parlament. Die konservativen Républicains haben bereits angekündigt, den Antrag nicht zu stellen. Ein Vertreter der Kommunistischen Partei rief alle linken Kräfte zu einem Misstrauensantrag gegen die Regierung auf. Es ist aber höchst fraglich, ob die Linke die für einen Antrag erforderliche Zahl von Stimmen zusammenbekommt. Auf der Pariser Gewerkschaftsdemonstration wird nun zum Parlament mobilisiert.
Update 15.25 Uhr: Valls setzt Dekret ein – Parlament darf nicht über Arbeitsgesetz abstimmen
Es ist offiziell: Der französische Premierminister Manuel Valls nutzt auch in der zweiten Lesung den Verfassungsartikel 49.3, um das Arbeitsgesetz direkt durchzusetzen. Das Parlament hat nun das Recht, die Vertrauensfrage zu stellen. Über das Gesetz wird nicht abgestimmt. Abgeordnete der Rechten haben die Nationalversammlung aus Protest verlassen, die Sitzung ist aufgehoben. Wird kein Misstrauensantrag gestellt, ist die nächste Station des Gesetzes erneut der Senat.
Update 15.05 Uhr: Demonstranten planen Versammlung vor dem Parlament
In der Pariser Demonstration werden Flyer verteilt, die dazu aufrufen, sich um 19 Uhr vor der Nationalversammlung zu versammeln: »Nach der Demonstration gehen wir nicht nach Hause.« Ein ähnlicher Aufruf hatte zur ersten Versammlung von Nuit Debout am 31. März geführt.
Update 14.50 Uhr: Protest gegen Arbeitsgesetz am Eiffelturm
Aktivisten haben am Pariser Eiffelturm Transparente mit der Aufschrift »Stop Loi Travail« aufgehängt. Ein entsprechendes Foto ging am Dienstagmittag über Twitter.
Update 14.35 Uhr: Demonstranten versammeln sich unter hoher Polizeikontrolle
Am Place d’Italie in Paris sammeln sich die Demonstranten gegen das Arbeitsgesetz. Reporter der Libération berichten von vielen Polizeikontrollen. Entgegen der 2014 verabschiedeten Regelung zur Kennzeichnungspflicht tragen einige Polizisten keine Identifikationsnummer.
Update 14.20 Uhr: Kompromiss unter Sozialdemokraten möglich
Im Schatten der Drohung des Premierministers mit der Anwendung des Artikels 49.3 haben die französischen Sozialdemokraten der »Parti Socialiste« Kompromissbereitschaft signalisiert. Wie die linksliberale Tageszeitung Le Monde berichtet, könnte es zu einer Einigung kommen, wenn es zu einer Gesetzesänderung bezüglich der Vergütung von Überstunden kommt. Die Regierung lehnte diese Änderung jedoch zunächst ab.
Update 13.25 Uhr: Manuel Valls droht, 49.3 in Anspruch zu nehmen
Der französische Premierminister Manuel Valls hat angekündigt, dazu bereit zu sein, zur Durchsetzung des Arbeitsgesetztes auf den Verfassungsparagrafen 49.3 zurück zu greifen – ohne Abstimmung im Parlament. Das berichtet die französische Tageszeitung Libération unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP. Demnach habe Valls auf einer Versammlung der Sozialdemokraten vor der Parlamentsdebatte gesagt: »Wir müssen aufhören zu spielen – nicht für uns, sondern für die Franzosen.« Um 15 Uhr soll Valls vor das Parlament treten, um diese Entscheidung zu verkünden.
Update 5. Juli, 11.30 Uhr: Letzte Proteste vor der Sommerpause
Zum ersten Tag der zweiten Lesung des Arbeitsgesetzes im französischen Parlament finden in Paris und den größeren Städten Frankreichs erneut Proteste statt – jedoch die letzten vor der Sommerpause. »Es wird keine Demonstrationen im Sommer geben«, kündigte am Montag der Vorsitzende der Gewerkschaft Force Ouvrière (FO), Jean-Claude Mailly, an. Das berichtet die linke Zeitung »L›Humanité«. Demnach wollen sich die Gewerkschaften am Freitag treffen, um die Ergebnisse der Parlamentsdebatte zu diskutieren. Für Dienstag mobilisieren sieben Gewerkschaftsorganisationen zunächst weiter zu Protesten. Um 14 Uhr beginnt die Auftaktkundgebung am Place d‹Italie in Paris.
Linke Gewerkschaften lehnen Arbeitsgesetz weiter ab
Das stark umstrittene Gesetz über die Arbeitsrechtsreform wird von diesen Dienstag an in der französischen Nationalversammlung in zweiter Lesung diskutiert. Das Votum darüber ist letztlich entscheidend, denn auch wenn der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, in seiner noch ausstehenden zweiten Lesung anders abstimmt, so ist in einem solchen Streitfall das Votum der ersten Kammer ausschlaggebend. Hier kann die Regierung, wie schon bei der ersten Lesung vor zwei Monaten geschehen, nach Artikel 49-3 der Verfassung die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden - und so die Kritiker in der eigenen Fraktion disziplinieren.
Doch weil das ein allzu deutliches Zeichen für die Zerrissenheit des eigenen Lagers ist, würden Präsident François Hollande und sein Regierungschef Manuel Valls gern auf dieses Zwangsmittel verzichten. Darum gab es bis zuletzt Versuche, den Kritikern in der Sozialistischen Partei (PS), bei den Kräften links von ihr und vor allem in den Gewerkschaften durch einzelne Zugeständnisse Wind aus den Segeln zu nehmen und so die Front der Ablehnung aufzubrechen. Einen ersten Erfolg konnten sie bereits verzeichnen: Die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC wird am Dienstag nicht an dem vor der Sommerpause letzten Aktionstag und den Demonstrationen gegen die Reform teilnehmen, zu denen CGT, FO und andere Gewerkschafter aufgerufen haben.
Nach den Gesprächen, die Premier Valls und seine Arbeitsministerin Myriam El Khomri in der vergangenen Woche einzeln mit den Vorsitzenden aller Parteien und Gewerkschaften geführt haben, zeigte sich François Hommeril, Vorsitzender der CFE-CGC, zufrieden über die angekündigten Abänderungen am Gesetz. So hält die Regierung zwar am besonders umstrittenen Artikel 2 des Gesetzes fest, dem zufolge Abkommen, die auf Betriebsebene zwischen dem Unternehmer und der Belegschaft geschlossen werden, Priorität gegenüber Branchenabkommen haben sollen, die zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden ausgehandelt wurden. Doch jetzt soll ergänzend eingefügt werden, dass die Sozialpartner der Branchen entscheiden können, für welche Themen solche Betriebsabkommen gelten sollen und für welche das Branchenabkommen mach wie vor Vorrang hat. Eine weitere Ergänzung sieht vor, dass in der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau sowie hinsichtlich der besonders schwierigen Arbeitsbedingungen das Niveau einer Betriebsvereinbarung auf keinen Fall unter dem des Branchenabkommens zu diesem Thema bleiben darf. Ferner soll im Gesetz verankert werden, dass die Sozialpartner künftig von Anfang an zu allen Abänderungen der Arbeitsgesetzgebung herangezogen werden.
Das zeugt von der späten Einsicht der Regierung, dass sie sich viel Ärger und Zeitverzug erspart hätte, wenn sie ihre Reformvorschläge von Anbeginn an mit den Sozialpartnern abgestimmt hätte. Das ändert allerdings nichts daran, dass der führende Unternehmerverband Medef jetzt einschätzt, dass das Reformgesetz durch die bisherigen und besonders die neuesten Abänderungen »nahezu seines gesamten positiven Gehalts beraubt« sei. Aus diesem Grund hat bereits die rechtsbürgerliche Oppositionspartei der Republikaner angekündigt, dass sie wieder gegen das Gesetz stimmen werde. Dagegen stimmen zweifellos auch die Abgeordneten der Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken, die die Reform genauso entschieden ablehnen wie die Gewerkschaften CGT und FO. Entscheidend wird das Verhalten der »Frondeurs«, der Aufrührer vom linken Flügel der Sozialistischen Partei, sein. Ihr Sprecher Christian Paul, der vor Monaten die Reform als »Instrument zum Niederwalzen der sozialen Rechte« gebrandmarkt hatte, will sich noch nicht festlegen, begrüßt aber die »wiedergefundene Dialogbereitschaft« der PS-Führung. Doch ob das reicht, um die »Frondeurs« umzustimmen, ist fraglich, und so bleibt der Rückgriff auf 49-3 sehr wahrscheinlich.
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