Sozialismus und Barbecue
Die elektrisierende TV-Serie »The Americans« folgt russischen Schläfern in den USA der 80er Jahre
Die Szene erinnert ein bisschen an eine Mafiafamilie, die während der feierlichen Taufe ihrer Kinder und der zugehörigen Preisung christlicher Nächstenliebe ihre Widersacher eiskalt ermorden lässt: Während Philip und Elizabeth Jennings ihren ahnungslosen Vorzeigekindern das Müsli zubereiten, bevor die wie jeden Morgen in der Schule den US-Fahneneid sprechen, liegt in der eigenen Garage ein geknebelter russischer Überläufer im Kofferraum - entführt und misshandelt von Mr. und Mrs. Jennings. Denn dieses Pärchen ist kein All-American-Couple, das in der properen US-Vorstadt lebt, um Wohlstand zu ergattern, Autos zu waschen und Barbecues zu geben - auch wenn sie so aussehen und diese Spießerfassade bereits viele Jahre erfolgreich aufrechterhalten. Denn die Jennings in der TV-Serie »The Americans« sind russische Schläfer. Sie sind langwierig ausgebildete und streng indoktrinierte KGB-Kader, die in den 80er Jahren tatenlos und unpolitisch in den USA Ronald Reagans ausharren, bis nach Jahrzehnten des Wartens schließlich aus Moskau der Befehl zum Einsatz kommt.
Durch die antirussischen Ressentiments, die viele große Medien vor allem in den letzten zwei Jahren mit großer Hingabe geschürt haben, ist zwar eine gewisse Sättigung eingetreten, was russische Schurkenstücke anbelangt. Zudem ist bei vielen Menschen mittlerweile eine allgemeine (Über-)Empfindlichkeit gegen westliche Arroganz und Heuchelei entstanden. Beides könnte dazu führen, »The Americans« vorschnell als den nächsten selbstbeweihräuchernden und russenfeindlichen Propagandamumpitz abzutun. Das wäre schade. Denn die Serie ist nicht nur sehr spannend und unterhaltsam, sie bietet nicht nur gute Darsteller und Handwerk auf sehr hohem Niveau. Sie ist außerdem ein (relativ) komplexes und intimes Psychogramm von Menschen beider Seiten, die während der Ideologisierung des Kalten Kriegs zwischen die Fronten geraten und zu Tätern werden. Die Sympathien der Serienmacher liegen ganz offensichtlich beim US-System - dennoch malt die Serie keines jener schwarz-weißen und verächtlichen Horrorbilder »des Russen«, wie sie seit einigen Jahren (wieder) in vielen großen Kinoproduktionen zu bestaunen sind.
Philip und Elizabeth Jennings (überzeugend rätselhaft: Matthew Rhys und Keri Russell) sind dagegen kultiviert, intellektuell schlagfertig und diszipliniert. Zusätzlichen Zündstoff liefert neben der Agententätigkeit das Privatleben der beiden. Denn sie sind kein Liebespaar, sondern durchleiden eine vom KGB verfügte Zwangsehe, die aber auch echte Annäherung nicht ausschließt. Ein bisschen zu sehr dem Klischee des weiblichen Russenapparatschik entspricht die Rollenverteilung: Elizabeth als die kalte, unbeugsame, durch und durch der Sowjetunion ergebene Funktionärsfurie, Philip als der ewige Zweifler, der seine sozialistische Überzeugung durchaus meistbietend verkaufen würde, und der offen ist für die materiellen (und teils gesellschaftlichen) Vorzüge der USA. Eine die Spannung anfachende Rolle spielen die ahnungslosen Kinder, die (wie andere Menschen) oft kurz davor stehen, die dunklen, teils blutigen Geheimnisse der Eltern zu entdecken.
Das Konzept des Schläfers konnte schon in den Anfängen der CIA-Serie »Homeland« extreme Spannung entfalten, in »The Americans« trägt es mittlerweile die vierte Staffel. Und eine Ermüdung ist nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Bisher hat sich die Serie von Staffel zu Staffel noch stets gesteigert.
Als Stream verfügbar bei: Amazon, Maxdome, Xbox, iTunes, Videoload, Sony Entertainment Network oder Netflix
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