Ermittlungen wegen Nazi-Gewalt gegen Klimaaktivisten
50 Rechtsextreme sollen Übergriffe auf Teilnehmer der Antikohle-Proteste geplant haben / Auch Ermittlungen gegen linke Blockierer
Die Welt retten! Mit keinem geringeren Ziel waren sie angetreten, die rund 3500 Klimaaktivisten in weißer Rüstung. Mitte Mai lud das Klimabündnis »Ende Gelände« zu Aktionen des zivilen Ungehorsams in die Lausitz, um das von Vattenfall betriebene Kohlekraftwerk »Schwarze Pumpe« zu belagern. Die Bagger im Tagebau wurden besetzt, das Kraftwerk kurzzeitig gestürmt und die Kohlezufuhr über die Schienen tagelang blockiert.
»Aktionen des zivilen Ungehorsams« eben, sagt das Bündnis: Kalkulierte Regelüberschreitungen, die notwendig seien, um ein größeres Übel – die Klimazerstörung – abzuwenden. Haus- und Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Polizeibeamte und gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr, so heißt das bei der Staatsanwaltschaft Cottbus. Auch Körperverletzung wird einzelnen Aktivisten vorgeworfen. Insgesamt 24 Ermittlungsverfahren sind nach den Aktionen eingeleitet worden, sagt Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linke) am vergangenen Donnerstag im Rechtssauschuss des Landtags, davon 19 gegen Teilnehmer von »Ende Gelände«.
»Mit einigen dieser Vorwürfe haben wir schon bei unseren Planungen gerechnet, die meisten der Aktionen befanden sich innerhalb unseres Aktionskonsenses«, sagt Tadzio Müller, Sprecher des klimapolitischen Bündnisses, dem »nd«. »Wenn wir ‚massenhafte Aktionen des zivilen Ungehorsams‘ ankündigen, kann man das durchaus übersetzen in: ‚Wir werden Haus- und Landfriedensbruch betreiben.‘« Vattenfall habe das Hausrecht für die Grube, nutze dieses Recht aber aus, um die Zerstörung der Erde voran zu treiben. Um diesem Raubbau ein Ende zu setzen, müsse man dieses Recht des Konzerns nun einmal einschränken.
Diese edlen Absichten finden nicht so viel Anerkennung bei jenen Anwohnern, die ihren Lebensunterhalt von ihrer Arbeit in der Kohleindustrie bestreiten. Der Verein »Pro Lausitzer Braunkohle« etwa warnte schon im Vorfeld der Proteste vor Gewalt, die von den Aktivisten ausgehen könne. Jetzt fühlt sich Vereinssprecher Jens Taschenberger bestätigt. In vielen Videos, die über die Aktionen im Netz kursierten, könne man sehen, wie Gewalt ausgeübt werde, sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung. Zum Beispiel hätten die Aktivisten Zäune des Kraftwerks niedergerissen.
»Das ist für mich keine Gewalt«, sagt die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Sabine Leidig, die die Proteste als parlamentarische Beobachterin begleitete. »Natürlich ist der Zaun kaputt. Aber das ist dann Sachbeschädigung.« Gewaltanwendung gegen Menschen vonseiten der Aktivisten habe sie nirgendwo beobachtet, auch keinen Widerstand gegen Polizisten bei Festnahmen. Gewalt sei jedoch von Neonazis ausgegangen.
Mehrfach hatten Klimaaktivisten nach den Aktionen berichtet, von Rechtsradikalen angegriffen, eingeschüchtert und bedroht worden zu sein. Zu einer Eskalation war es nach einer »Pro Braunkohle«-Kundgebung vor dem Kraftwerk Schwarze Pumpe gekommen, als rund 80 der 400 Teilnehmer nach der Veranstaltung einige Aktivisten einer Schienenblockade bedrohten. Auch auf den Landstraßen und dem Camp seien Augenzeugen zufolge Aktivisten bedroht worden, darunter der »taz«-Journalist Martin Kaul.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen eine Gruppe von 50 Beschuldigten aus der rechten Szene wegen der Planung dieser Übergriffe – und außerdem gegen vier unbekannte Täter, die einen Teilnehmer des Klimacamps bei Proschim verprügelt haben sollen.
Bündnissprecher Müller wirft dem Verein »Pro Braunkohle« nun vor, die rechten Schläger gegen die Aktivisten aufgehetzt zu haben. »Wir haben die Pro-Braunkohle-Demonstration nicht organisiert«, distanzierte sich jedoch Vereinssprecher Taschenberger, »aber das waren Bürger aus Spremberg, das waren doch keine Nazis.« Der Verein selber sei bei Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche in Cottbus immer »ganz vorne mit dabei.« In der Region habe es jedoch viel Aufregung wegen der Klimaproteste gegeben. Die Spontandemo der Kohle-Befürworter sei ein gutes Mittel gewesen, »um Druck rauszulassen«. Der Verein sei zwar für die Energiewende, aber es müsse dann für eine wirtschaftliche Alternative in der Region gesorgt werden. Rund 8000 Menschen arbeiten in der Lausitzer Kohleindustrie.
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