Ein fantastisches Wahlgeschenk

Rechtspopulist Geert Wilders will Volksabstimmung über einen möglichen Nexit zum Wahlkampfthema machen

  • Steffi Weber, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Brexit-Votum ist die EU-Debatte in den Niederlanden neu entflammt. Die Sozialistische Partei setzt sich für eine EU-light ein.

Geert Wilders ist sicher: Nach dem Brexit folgt der Nexit, der niederländische Aussteig aus der Europäischen Union. »Bye bye Brüssel« und »Die Niederlande werden die nächsten sein«, twitterte der niederländische Rechtspopulist nach dem historischen Entscheid der Briten.

Auch in der Presse wird wild über einen möglichen EU-Austritt der Niederländer spekuliert. Zu wild vielleicht. Denn ein Nexit ist vorläufig ein äußert unwahrscheinliches Szenario - Rechtspopulisten und Sozialisten dürfen sich aber trotzdem über das britische Votum freuen. Wilders forderte die Regierung umgehend auf, so schnell wie möglich ein Referendum auszuschreiben. Erwartungsgemäß wurde seine Initiative von einer überwältigenden Mehrheit des Parlaments abgelehnt. Gleichwohl hält Wilders am Ziel eines Referendums zum EU-Austritt seines Landes fest. Der Politiker sagte in einem Interview mit AFP, um eigenständig über die eigene Einwanderungspolitik bestimmen zu können, sei es »unumgänglich, die Europäische Union zu verlassen«. Die Volksabstimmung über einen möglichen Nexit will er zu einem Hauptthema des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen im März kommenden Jahres machen.

Die Spekulationen über einen Nexit verwundern nicht. Obwohl die Niederlande abhängig vom europäischen Binnenmarkt sind, ist EU-Kritik weit verbreitet. Bereits 2005 brachten die Niederländer (und die Franzosen) durch eine bindende Volksbefragung die geplante EU-Verfassung zu Fall. Und im April lehnten zwei Drittel der Niederländer per Referendum das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine ab. Eine rote Karte - nicht so sehr für die Ukraine, sondern für Brüssel. Wenn jetzt Wahlen wären, würde Umfragen zufolge die Freiheitspartei (PVV) von Wilders die mit Abstand stärkste Partei werden.

Im Abstimmungskampf zum Referendum sprachen sich die Rechtspopulisten für ein »Nein« aus. Das tat auch die Sozialistische Partei (SP), die 2012 bei den Parlamentswahlen 9,5 Prozent der Stimmen erhielt, wenngleich mit anderen Argumenten. Und auch jetzt ist SP-Chef Emile Roemer in Den Haag - abgesehen von Wilders - einer der wenigen Politiker, die sich über den Brexit-Entscheid der Briten freuen.

Die Sozialisten sehen den Brexit als »erlesene Chance für fundamentale Änderungen innerhalb Europas«. Auch Roemer fordert jetzt ein niederländisches Referendum. Indes nicht über einen Nexit, sondern über eine »EU-light«, eine schlankere EU-Mitgliedschaft. »Die Menschen fühlen sich machtlos gegenüber Europa«, sagte Roemer auf einem Parteikongress. Zentrale Themen wie Wirtschaft, Sicherheit und Immigration haben die Menschen nicht mehr selbst in der Hand. Hohe Mieten, niedrige Löhne und die Angst vor verschärfter Konkurrenz um Löhne und Jobs würden den Niederländern zu schaffen machen. Ein Nexit steht für die Sozialisten jedoch nicht zur Debatte. »Wilders will aus einem fahrenden Zug springen, wir wollen uns stattdessen ans Steuer stellen«, meinte Roemer während einer Parlamentsdebatte. Die Sozialisten wünschen sich eine EU mit weniger Markt, mehr Demokratie und mehr Volksentscheiden.

Auf die Frage, wie diese EU-light in der Praxis aussehen soll, mussten die Sozialisten die Antwort bisher schuldig bleiben. Es gelingt der SP bis dato nicht, die Unzufriedenheit der Niederländer zu ihren Gunsten zu nutzen. Während die PVV laut Umfragen stetig Wähler gewinnt, wenden sich immer mehr von der SP ab. Verständlich: Ein unbestimmtes Gefühl in der Magengrube in konkrete Maßnahmen umzusetzen ist keine einfache Aufgabe. Da hat Wilders es mit seinem simplen Ruf nach einem Nexit besser, obwohl längst deutlich geworden ist, dass die »Brexiteers« keinen Plan hatten. Schuld für den möglichen Schaden des Brexits haben laut Wilders nämlich nicht die Brexit-Befürworter, sondern die anderen Parteien, die jahrelang den Willen des Volkes ignoriert haben.

Ein Vorwurf, den sich auch die niederländischen Regierungsparteien anhören müssen. Dass Premier Mark Rutte von der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie jetzt zugeben musste, dass das klare »Nein« der Niederländer im Ukraine-Referendum olgenlos blieb, ist in diesem Lichte umso peinlicher.

Fest steht, dass die Regierungsparteien es nach dem Brexit bei den Parlamentswahlen im März nicht einfacher haben werden. Wenn es der SP gelingt, ihre Pläne zu konkretisieren und den Wählern eine überzeugende Alternative zu bieten, dürfte nebst den Rechtpopulisten auch die SP vom Brexit profitieren. Die Tageszeitung »de Volkskrant« formulierte es in einem Kommentar so: Dann haben die Briten der PVV und der SP für nächstes Jahr schon mal ein fantastisches Wahlgeschenk besorgt.

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