Jenseits der Weißbücher

Expertenkommission fordert neue Sicherheitspolitik

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Was ist Sicherheit? »Weißbücher« helfen da nicht weiter, schreibt die Kommission »Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr« an der Uni Hamburg. Am Beispiel des nun aktualisierten Weißbuchs von 2006 kritisiert die Gruppe aus Militär, Politik und Wissenschaft herrschende sicherheitspolitische Konzeptionen scharf. Das Papier folgert, ein »sicherheitspolitisches Grundlagendokument der Bundesregierung« stehe noch aus - und müsse jenseits des Verteidigungsministeriums formuliert werden.

Betreffs des Sicherheitsbegriffs moniert die Kommission dessen »extrem« weite Fassung. In einer Gleichsetzung mit »nationalen Interessen« bleibe unklar, wieso neben Terror und Massenvernichtungswaffen etwa Migration und Handelsfreiheit als sicherheitsrelevant gelten, nicht aber Giftmüllverklappung oder Fischereiraub, die etwa zu jener Bedrohung der Handelswege vor Somalia beigetragen hätten, gegen die dann die Marine auslief.

Als »grundsätzliches Defizit« erkennt das Zehn-Seiten-Papier, das im Internet unter dem Titel »Weißbücher haben ausgedient« zu finden ist, »normative Asymmetrien«: »Während die eigenen Interessen (...) überall mit den für erforderlich gehaltenen Mitteln verfolgt werden dürfen, wird dies politischen Konkurrenten - etwa Russland oder China - nicht zugestanden.« Man setze auf ein »Vernetzungsdogma«, das externe militärische und zivile sowie lokale Akteure integrieren wolle, ohne auf deren besondere Handlungslogiken und Zielhorizonte zu achten. Rechtsnormen dienten oftmals nur als »Legitimationsressource«: So enthalte das nun fortgeschriebene Weißbuch 2006 »Passagen, deren Völkerrechts- und Verfassungskonformität zumindest in Zweifel steht«.

Notwendig sei auch Selbstkritik: »Einmischungen, die auf einen Regime Change samt State- und Nation Building abzielten, müssen als gescheitert betrachtet werden.« Das Papier schließt Militäreinsätze im Rahmen der UN nicht aus. Doch müsse ein grundsätzlicher »Vorrang für eine gewaltpräventive Politik« so ernst genommen werden wie eine gründliche Analyse der Umstände vor Ort; Erfolgsaussichten der jeweiligen Optionen müssten ehrlich evaluiert und Ausstiegsszenarien durchgespielt werden. Als institutionelles Zentrum einer solchen Neuausrichtung sieht das Papier statt des Verteidigungsministeriums die neue Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge im Auswärtigen Amt.

Unterzeichnet haben dies neben Politologen auch Mitarbeiter der Führungsakademie der Bundeswehr und frühere oder aktive Bundespolitiker wie Agnieszka Brugger (Grüne), Paul Schäfer (LINKE) und Burkhardt Müller-Sönksen (FDP). Nicht unterschrieben hat SPD-Außenpolitiker Nils Annen - auch er ist Mitglied jener Kommission am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Hamburger Uni.

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