Mehr Ausnahmezustand: Keine kluge Reaktion auf Nizza
Guido Speckmann über die Dominanz des Emotionalen nach dem Anschlag
Es war von Beginn an wahrscheinlich, aber es ist – bis jetzt – noch nicht geklärt, ob das Ereignis von Nizza einen terroristischen und/oder islamistischen Hintergrund hat. Doch inzwischen sind die Reaktionen der Politiker nicht nur in Frankreich fest eingeschliffen: Man zeigt sich bestürzt und geschockt, um beinahe im gleichen Atemzug mehr Überwachung, Polizei- und Militärpräsenz und vor allem Angriffe auf den Islamischen Staat in Irak und Syrien zu fordern.
Das ist einerseits verständlich. Nach dem Terrorakt auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und dem vom vergangenen November ist Frankreich in der Tat schwer gezeichnet vom Terrorismus. Doch andererseits sind die Dominanz des Emotionalen und die Logik der Rache keine klugen Reaktionen. Es ist eine bittere Ironie, dass die französische Regierung durch ihre Reaktion auf den 14. Juli 2016 Prinzipien infrage stellt, die durch den 14. Juli 1789 das Licht der Welt erblickten und deren Werte jetzt erneut von allen westlichen Politikern beschworen werden.
Das Entsetzen und die Trauer sollten stattdessen für eine kühle Selbstbefragung des Westens genutzt werden. Welche Rolle spielen seine Kriege in der islamischen Welt? Wie hängen sie mit dem zunehmenden Terror in Europa zusammen? Und warum zeigen wir uns so bestürzt über den Terror in Paris, Brüssel und Nizza, während wir jenen in Bagdad, Dhaka oder Kabul ignorieren? Was schließlich hat die Gleichheit mit der Durchsetzung des freien kapitalistischen Marktes zu tun?
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