Meilenweit gegen den Wind
Renate Künasts Twitter-Frage zu den tödlichen Schüssen von Würzburg ist kein Anlass zur Empörung. Die Reaktionen darauf dagegen sehr wohl
Ein Mensch begeht eine schreckliche Straftat, die Polizei verfolgt den Verdächtigen - und erschießt ihn. Soviel war in der Nacht zum Dienstag bekannt, als Renate Künast nicht nur ihrer Sorge um die in Würzburg durch Axthiebe und Messerstiche Verletzten Ausdruck verlieh, sondern im Kurznachrichtendienst Twitter auch die Frage stellte: »Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden?« Seither ergießt sich über die Grünen-Politikerin eine Welle der Empörung aus politischem Brackwasser, das meilenweit gegen den Wind stinkt.
Der CSU-Landtagsabgeordnete Florian Herrmann zieh Künast der »bösartigen Twitterei«, die ihm zum Beweis gerät, »dass die Grünen immer auf der falschen Seite stehen, wenn es um innere Sicherheit geht«. Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber befand, er halte »grundsätzlich das Misstrauen gegen unsere Sicherheitsorgane oder gegen die handelnden Polizisten« für »nicht in Ordnung«. Der stellvertretende Vorsitzende einer fast vergessenen Lobbyorganisation, FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, unterstellte sogleich, Künast habe quasi aus naiver und falscher Ausländerfreundschaft gehandelt. Für Kubicki geriet der Tweet der Grünen-Politikerin praktisch zum Beweis gegen die angebliche Unangebrachtheit von »friedlichem Multikulti«.
Der Punkt ist: Künast hat nichts getan, worüber man sich in irgendeiner Weise kritisch äußern müsste. Zu einem Zeitpunkt, als über den Angriff von Würzburg noch nicht allzu viel bekannt war – weder was die möglichen Hintergründe des Verdächtigen noch den Ablauf der polizeilichen Maßnahmen angeht, bei denen der 17-Jährige erschossen wurde. Die Rechtspolitikerin stellte lediglich öffentlich die Frage, ob nicht auch ein anderer Verlauf der Festnahme möglich gewesen wäre. Ist es nicht genau das, was man von Abgeordneten erwarten darf, die nicht zuletzt das Handeln der Exekutive kontrollieren sollen?
Künasts Tweet hat auch nichts mit einer unbotmäßigen Haltung gegenüber der Polizei zu tun. Schusswaffengebrauch durch Beamte ist nun einmal nur erlaubt, »wenn der polizeiliche Zweck durch Waffenwirkung gegen Sachen nicht erreicht werden kann«. Natürlich ist es zulässig, sich gegen unmittelbare drohende Gewalt zu wehren. Jetzt, eine Pressekonferenz und viele Berichte später, sieht es danach aus, dass die beiden Polizisten in Notwehr geschossen haben. Zulässig ist aber ebenso, als Abgeordnete öffentlich danach zu fragen, ob die Voraussetzungen für tödliche Schüsse von Polizisten in diesem Fall erfüllt sind.
Man mag beklagen, dass in Zeiten »sozialer« Medien die Reaktionsgeschwindigkeiten schneller zunehmen als die Zeit, die zum Nachdenken bleibt. Man mag zu recht einwenden, dass den Parteien links der Union noch einiges an Debatte über das Verhältnis von öffentlicher Sicherheit, Integration und Asyl bevorsteht. Man mag auch überhaupt nicht einverstanden sein mit bestimmten politischen Forderungen oder Äußerungen aus den Reihen der Grünen. Aber bösartig oder besonders polizeikritisch war Künasts Tweet keineswegs.
Im Gegenteil: Gerade in Zeiten, in denen nicht nur die terroristischen Gefahren zunehmen, sondern auch die Neigung der Politik, diese quasi nebenher auch für Grundrechtseinschränkungen zu benutzen, in Zeiten, in denen wir uns daran zu gewöhnen scheinen, dass Ausnahmezustände wie in Frankreich zur Regel werden; in Zeiten zumal, in denen eine wütende Minderheit lauthals nach kurzem Prozess jenseits aller rechtstaatlichen Regeln schreit, in solchen Zeiten ist es politisch sogar geboten, auch dann die richtigen Fragen zu stellen, wenn das auf Unverständnis stößt.
Übrigens: Die Reaktion der Polizei Oberbayern Süd, die den Tweet von Künast »zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerecht« nannte, ist genauso verständlich. Aber auch das lässt sich nicht zum Argument gegen die Grüne machen.
Eine Untersuchung der tödlichen Schüsse auf den Angreifer wird es ohnehin geben. Dabei wird auch die Twitterfrage der Rechtspolitikerin beleuchtet werden - von Ermittlern und der Justiz. Ganz ohne Empörung und jene politische Ausbeuterei einer nächtlichen Reaktion in einem »sozialen« Netzwerk, um die sich nun die wohlfeilen Kritiker der Grünen-Politikerin bemühen. Ihnen geht es nicht um die Polizei. Und auch nicht um die Sicherheit von Bürgern. Sondern um den kleinen, parteipolitischen Vorteil. Angesichts dessen, was da in Würzburg geschehen ist, ist das nun aber wirklich: empörend.
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