Einheit mit Rissen
Tausende in Iran lebende Juden dokumentieren offiziell gelungene Integration - die Realität ist diffiziler
Es ist Freitag, der muslimische Ruhetag. Eine Menschenmenge skandiert vor einer Moschee im Zentrum Teherans »Tod Israel«; eine schwer bewachte Gruppe von Männern bahnt sich den Weg durch die Menge. Auf den Fernsehbildern ist Mohammad Dschafari, Chef der Revolutionsgarden, zu sehen, neben sich hochrangige Geistliche. Und mitten drin: Homajun Nadschafabadi, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Teheran. »Ein Jude, der die Freiheit liebt, muss das palästinensische Volk unterstützen«, sagt er. Zionismus, das sei »nichts weiter als eine politische Ideologie«. Es gebe keine Verbindung zwischen der jüdischen Religion und dem Zionismus.
In Iran lebt die größte jüdische Bevölkerungsgruppe im Nahen Osten außerhalb Israels; zwischen 8500 und 15 000 Menschen umfasst sie. Vertreter der islamischen Republik und Repräsentanten der Gemeinden geben sich stets einig, patriotisch, anti-zionistisch. »Seit 2500 Jahren leben Juden in Iran, und wir leben hier gerne«, sagt Siamak Moreh Sedgh, der einzige jüdische Parlamentsabgeordnete. Er setzte sich bei den Wahlen Anfang des Jahres gegen zwei Gegenkandidaten durch; es war das erste Mal, dass es für das Mandat, eines von fünf Sitzen, die für Vertreter von Minderheiten reserviert sind, mehrere Bewerber gab. »Das zeigt, dass die Einheit große Risse hat: Viele sind unzufrieden mit ihm«, sagte Eli, ein junger Mann, der seinen Namen nicht nennen wollte, damals kurz nach Bekanntgabe des Ergebnisses. »Ja, das ist unsere Heimat. Aber wir stehen vor großen Herausforderungen.«
Während die Verfassung freie Religionsausübung garantiert, der iranische Staat den jüdischen Gemeinden zehn Prozent der Etats beisteuert, kämpfen Juden in der iranischen Gesellschaft mit Vorurteilen. »Es ist schwer, einen Job zu finden«, sagt Eli. 22 Prozent der Juden seien arbeitslos, heißt es in einer Statistik des Arbeitsministeriums.
Hinzu kommt: »Man muss ständig patriotischer sein als die Muslime.« So Maryam Javendafar, eine jüdische Ärztin. »Man steht ständig unter Verdacht, Zionist zu sein.« Im Jahr 2000 waren zehn Juden der Spionage für Israel beschuldigt und zu langer Haft verurteilt worden. Vor allem während der Präsidentschaft von Ali Ahmadinedschad wurden Dutzende weitere teils für Jahre festgesetzt. »Viele von uns haben Familie in Israel«, sagt Javendafar. Bis zu 150 000 Juden lebten bis in die 80er Jahre hinein in Iran; nach der Revolution wanderten die meisten nach Israel oder in die USA aus. »Das Internet hat es leichter gemacht, Kontakte zu Angehörigen zu halten, aber wenn man erwischt wird, braucht man Glück.«
Eli ist einer von jenen, die dieses Risiko auf sich nehmen - und der gelernt hat, dass die offizielle Version und die Realität weit voneinander entfernt sind. »Viele von uns sind gegen Israel, weil sie es so beigebracht bekommen haben. Während des Gaza-Krieges hat man beispielsweise immer wieder Bilder von toten Palästinensern im Fernsehen gesendet. Was in Israel los war, habe ich über Skype von meinen Verwandten erfahren.«
Nadschafabadi und Moreh Sedgh hingegen sprechen lieber über das Atomabkommen, und wie es die Welt sicherer, das jüdische Leben in Iran einfacher machen wird - und auch, wie sicher das Leben für Juden in Iran überhaupt sei. »Wir brauchen hier keine Sicherheitsleute vor Synagogen und jüdischen Schulen«, sagt Nadschafabadi. Aber: Zumindest um das jüdische Gemeindezentrum in Teheran sind sehr auffällig Mitarbeiter des Geheimdienstes postiert.
Die Regierung scheint kein Risiko eingehen zu wollen. Die offizielle Version ist, dass die Welt Israel nicht braucht, damit Juden unbehelligt leben können - ein Bild, dass ins Wanken geriet, als der Holocaustleugner Ahmadinedschad Präsident wurde und im Fernsehen Filme und Dokumentationen gezeigt wurden, die offen antisemitisch waren.
Nadschafabadi lässt keinen Zweifel daran, dass er ein Konservativer ist und auch als Jude hinter der islamischen Revolution steht. Moreh Sedgh hingehen gilt als Freund von Präsident Hassan Ruhani: Gemeinsam gingen sie auf Reisen zu den Vereinten Nationen in New York und nach Europa. »Es gab für uns harte Zeiten in diesem Land, und die politische Arbeit ist eine Gratwanderung«, sagt er. »Ich weiß, dass viele denken , ich würde als Aushängeschild missbraucht. Aber ich glaube wirklich, dass eine friedliche Zukunft möglich ist.«
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