Jenseits der Zauberwörter
SPD und Linkspartei sollten den Grünen ein konkretes Angebot machen. Dann erst wird man sehen, wer wirklich »regierungsunfähig« ist, meint Tom Strohschneider
Keine Debatte, die im medial-politischen Raum geführt wird, kommt ohne Zauberwörter aus - Begriffe, die Konkurrenten in einem Zug Matt setzen sollen; Vokabeln, die drastisch vereinfachen, um es sich einfach zu machen. Eines dieser Zauberwörter heißt »Regierungsunfähigkeit«. Man hat es zuletzt vor allem gegen die Linkspartei in Stellung gebracht - diese sei in wichtigen Fragen heillos zerstritten, habe irrlichternde Politiker in ihren Reihen und überhaupt: Wer soll das denn alles bezahlen?!
Verbunden wird der Vorwurf, der in Wahrheit auf eine Exkommunikation aus dem öffentlichen Raum politischer Gestaltung hinausläuft, meist mit der Anforderung, die LINKE solle doch bitteschön erst eine ganz andere Partei werden, bevor man weiterreden kann. Zum Beispiel über Rot-Rot-Grün. (Die anderen Parteien halten es, leider, nicht anders.)
Nun ist kaum zu übersehen: Wer ein solches Raster anlegt, müsste jetzt die Grünen als regierungsunfähig bezeichnen. Seit Tagen beharken sich deren Politiker auf treffliche Weise. Es geht um eine zentrale Frage, die zwei strategische Aspekte miteinander verbindet: Mit welchem Profil geht man in den Wahlkampf 2017 und was heißt das für die möglichen Kooperationsoptionen? Der Freundeskreis Schwarz-Grün macht dem linken Flügel dabei Vorwürfe - wer Lagerdenken pflegt, agiere nach altem Muster; und wer in Gesprächen auslotet, was möglich wäre, zeige »klassisches Männergehabe«.
Nun ist es nicht einmal schwer, bei vielen männlichen Protagonisten des Politischen ein solches Gebaren zu diagnostizieren. Doch der Vorwurf zielt ja nicht auf eine genderpolitische Erneuerung des subjektiven Politikstils, sondern baut eine Barrikade der Abwehr einer konkreten Bündnisoption auf - und das sehr weit weg von den Inhalten. Während der Altvordere Jürgen Trittin den Zusammenhang zwischen ökologischem Umbau, sozialer Frage und aufholender Umverteilung klar anspricht, bemühen die Realos ideologische Mätzchen dagegen: die angeblich drohende Abwanderung von Firmen wegen einer Vermögensteuer. Oder eben: den falschen Politikstil.
Mag sein, dass die grünen Anhänger eines Bündnisses mit der Union ganz ohne vertrauliche Runden auskommen. Mag ebenso sein, dass es aus irgendwelchen Gründen heraus sinnvoll ist, ein ökologisch angestrichenes Mitte-Oben-Bündnis zu bevorzugen, bei dem es als kleineres Übel gilt, mit Leuten wie Horst Seehofer zu koalieren. Es könnte sogar Argumente dafür geben, steuerliche Umverteilung zur Bewahrung der Interessen von Leuten sein zu lassen, die bereits bevorteilt sind.
Dann soll man die auch aussprechen. Die Beschwörung der »grünen Eigenständigkeit«, die am liebsten jene vortragen, die genau wissen, mit wem sie am liebsten wohin gehen möchten, entpolitisiert in Wahrheit die Debatte - indem sie den Punkt zu umgehen empfiehlt, an dem man seine eigenen Vorstellungen und die Frage, welche Mehrheiten dafür nötig und welche absehbar sind, in Übereinstimmung bringen muss. Sonst ist man nämlich: regierungsunfähig.
Es gibt noch andere Zauberwörter im medial-politischen Raum. Eines davon lautet »Opportunismus« und dieses ist vor allem auf der linken Seite en vogue. Es transportiert den vernichtenden und historisch stark aufgeladenen Vorwurf, wer den Schwierigkeiten parlamentarischer Politik nicht ausweicht, handele gegen seine Überzeugungen. Auch das ist eine Vokabel, die drastisch vereinfacht, um es sich einfach zu machen.
Verwandt ist übrigens der englische Begriff »Opportunity«. Wenn man daran festhält, dass in Zeiten, in denen die sozialen, globalen, ökologischen Herausforderungen derart groß sind, jede »Gelegenheit« geprüft werden muss, an den Verhältnissen etwas zu ändern, sollte man sich nicht von Zauberwörtern des politisch-medialen Betriebs bange machen lassen.
Im konkreten Fall: Es läuft daraus hinaus, dass SPD und Linkspartei den Grünen ein Angebot machen müssten, das auch deren Merkel-Flügel nicht mit billigen Behauptungen zurückweisen kann. Einen Zehn-Punkte-Plan für jenes »Bündnis für Ökologie und Gleichheit«, von dem Trittin spricht. Kann sein, dass es keine rot-rote Einigung auf ein solches Programm gibt, in dem europäische und soziale Fragen im Zentrum stehen müssten. Kann auch sein, dass die Grünen dann dennoch ein solches Angebot ablehnen. Es aber nicht zu versuchen, hieße wirklich: regierungsunfähig zu sein.
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