Werden nun Schwejks rekrutiert?

Neues Gerücht: Eine Art Nationalgarde soll Bundeswehr bei Terroristenabwehr ersetzen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Jeder Vorschlag zur Terrorismusabwehr ist willkommen. Wenn er sinnvoll und grundgesetzkonform ist. Was man von der Idee einer Nationalgarde kaum sagen kann.

Nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach sowie dem Amoklauf in München denkt die Bundesregierung über ein neues nationales Sicherheitskonzept nach, meldet die «Bild»-Zeitung« und beruft sich auf Regierungskreise. Seltsam, denn erst vor ein paar Tagen erschien das neue »Weißbuch« zur Sicherheitspolitik. Darin ist nicht die Rede von einer Reservisten-Truppe, die zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden soll.

Stimmen die Meldungen, dann will jemand in der Regierung mit einer Art Nationalgarde Schwierigkeiten überwinden, die sich beim immer öfter geforderten Einsatz der Bundeswehr im Inneren ergeben. Während CDU und CSU Soldaten im Binneneinsatz nicht nur zum Sandsackstapeln sehen, dabei aber nicht auf die Notstandsgesetze zugreifen wollen, verweigert sich der SPD-Koalitionspartner diesem Weg weiterer Militarisierung.

Kein Gerücht ist, dass sich schon vor den Terroranschlägen in Deutschland mit dem Militär verbandelte Politiker und andere konservative Persönlichkeiten zusammengetan haben, um eine allgemeine Dienstpflicht zu fordern. Der Bundeswehr-Reservistenverband hatte Ende Juni sogar zu einer einschlägigen Konferenz nach Berlin geladen. Dort war allerdings noch die Verschärfung der Lage an der NATO-Ostgrenze das tragende Argument.

Auf der Konferenz aktiv war der Historiker Michael Wolffsohn. Er lehrte einst an der Bundeswehr-Universität in München. Dieser Tage beklagte er in der »Super-Illu« - mit Verweis auf die Anschläge - erneut, dass der Staat »seine Aufgaben im Bereich Sicherheit derzeit nicht erfüllen« kann. Also: allgemeine Dienstpflicht für alle Deutschen. Männer wie Frauen sollten künftig für eine begrenzte Zeit angeleitet, geschult und unter Kontrolle der Polizei für Sicherheitsaufgaben eingesetzt werden.

Ob jemand im »Bild«-Redaktionsgroßraum oder im stillen Regierungskämmerlein den Vorschlag einer Nationalgarde ausgebrütet hat - im Grunde orientiert man sich an Realitäten in Frankreich. Kaum hatte ein 31-Jähriger am 14. Juli, dem Nationalfeiertag Frankreichs, in Nizza 84 Menschen per Lkw umgebracht und zahlreiche weitere verletzt, da rief Innenminister Bernard Cazeneuve alle »patriotischen Franzosen« zum freiwilligen Polizeidienst auf.

Eigentlich richtete sich die Bitte an 12 000 speziell dafür vorgesehene französische Staatsbürger mit militärischer Ausbildung. Je nach Lage können die Präfekten auf diese Reservisten zugreifen und sie für Personenkontrollen an den Grenzen, an Mautstellen und zur zusätzlichen Absicherung von Veranstaltungen einsetzen. Doch umgehend haben sich weitere Freiwillige gemeldet. Nach einem mindestens zweiwöchigen Training gibt es für die meisten von ihnen Uniform und Waffe. Und für die Gesellschaft absehbar jede Menge Probleme.

Hierzulande warnen insbesondere Experten aus den Polizeien davor, die deutschen Probleme mit den Methoden Frankreichs lösen zu wollen. Dort sind die Streitkräfte traditionell und auch juristisch viel enger in die Gesellschaft eingebunden. Die allerorts präsente Gendarmerie, als eine von drei Polizeibehörden, ist dem Pariser Innen- wie dem Verteidigungsministerium unterstellt. Überdies helfen reguläre Truppen bereits seit Ausrufung des Ausnahmezustandes im Herbst 2015 bei der Abschreckung mutmaßlicher Gewalttäter. Die militärischen Kräfte, die ja auch in Syrien, Libyen, Mali und anderen Kriegsregionen agieren, sind erschöpft.

Völlig anders als Frankreichs Reservetruppe ist die keineswegs unumstrittene Nationalgarde in den USA. Sie bildete sich im 17. Jahrhundert aus einem Haufen Milizionäre, um im Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialherrschaft zu kämpfen. Heute besteht die Truppe aus 460 000 Mitgliedern, die sich in Land- und Luftstreitkräfte gliedern. Lehrer, Landwirte, Zahnärzte, Busfahrer und Ingenieure, die in Uniform aufblühen, müssen monatlich ein Wochenende für die Ausbildung opfern und zwei Wochen im Jahr Dienst schieben. Bislang wurden die Nationalgardisten zumeist im Inland eingesetzt. Zur unrühmlichen Geschichte der Truppe gehört, dass sie farbige Studenten am Betreten der Little Rock Central High School hinderte und ein Nationalgardist 1970 in Ohio Vietnam-Kriegsgegner erschoss. Derzeit kämpfen viele Angehörige der Garde im Ausland. Mehr als 500 sind gefallen.

Das US-Konzept dürfte weit weg sein von dem, was in Deutschland denkbar erscheint. Noch gibt es keine Ausbildungsrichtlinie oder Finanzierungsmodelle, geschweige gesicherte rechtliche Grundlagen für eine deutsche Nationalgarde. Die Idee erinnert aber fatal an die der Wachpolizei. Die ist kein Gerücht, so eine Truppe gibt es in Hessen; Sachsen-Anhalt und Sachsen stellten nun ebenso Einbrecherschrecks ein. Grund sei, so heißt es in Dresden, die »veränderte Sicherheitslage«. Man betont den »Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation«. Nach drei Monaten Ausbildung sollen die Bewerber echte Polizisten von Routineaufgaben entlasten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hielt das jüngst für ein »zukunftsweisendes Modell«.

Falls der Trend zu Hilfs-, Ersatz- und Ausweichlösungen in Sachen innerer Sicherheit anhält, würde es nicht verwundern, wenn mögliche Nachfahren des braven Soldaten Schwejk Ministersessel einnehmen. Na und? Der vom Urvater aller Wehrverweigerer gelebte »Patriotismus« wäre in diesen Tagen nicht die schlechteste Idee.

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