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Auswandern ist eine Alternative

Russland befürchtet, dass eine beträchtliche Anzahl von Spitzensportlern dem Land nach den Olympischen Spielen den Rücken kehren könnte

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die ersten 70 Sportlerinnen und Sportler, die bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro für Russland an den Start gehen werden, sind am Donnerstag vom Moskauer Flughafen Scheremetjewo gestartet. Insgesamt haben bisher 270 russische Athleten grünes Licht von jenen Weltsportverbänden bekommen, an die das Internationale Olympische Komitee IOC am Sonntag die Zulassungsentscheidung delegiert hatte. Der Hintergrund: Eine von der Welt-Antidoping-Agentur WADA eingesetzt abhängige Kommission hatte Vorwürfe, wonach in Russland jahreslang ein staatliches Dopingsystem betrieben hat, als bewiesen eingestuft.

Der Sport werde erneut in einem Maße politisiert, das den gesunden Menschenverstand übersteigt, rügte Kremlchef Wladimir Putin, als er Mittwoch alle ursprünglich nominierten knapp 400 Olympiateilnehmer empfing. Russland Leichtathleten müssen komplett zu Hause bleiben, Schwimmasse mit Dopingvorgeschichte, viele Weltklasseruderer, Kanuten und Schwerathleten ebenfalls. In der Länderwertung, so Sportjournalisten, sei für Russland in Rio maximal noch Rang fünf drin, bei künftigen Spielen eher weniger. Gestresst und verunsichert, würden Spitzensportler die Konsequenzen ziehen, im Ausland trainieren, ja sogar die Staatsbürgerschaft ihres Gastlandes annehmen, um unbeschwert an den Start gehen zu können.

Die Auswanderung als Alternative sei vor allem für junge Talente am Beginn ihrer Laufbahn attraktiv, fürchtet ein Schwimmtrainer, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Wegen des Dopingskandals würden sich die Weltsportverbände mit der Vergabe internationaler Wettkämpfe an Russland künftig »sehr schwer« tun. In der Tat: Sogar bei bereits vergebenen wie der Universiade - das Weltsportfest der Studierenden, dessen Winterausgabe 2019 im sibirischen Krasnojarsk ausgetragen werden soll - ist fraglich, ob russische Athleten sich auf dem Boden von Mutter Heimat darauf vorbereiten können.

Ohne Teilnahme an internationalen Wettkämpfen indes sind auch die besten Athleten für Sponsoren unattraktiv. Einschlägige Verträge und ein staatlicher Förderungsfond, der sich vor allem aus »freiwilligen« Zahlungen von Oligarchen finanziert, sind Haupteinnahmequelle für Profis. Spitzenkönner kommen dadurch selbst in Disziplinen, deren Wettkämpfe die Nation nicht kollektiv im TV verfolgt, monatlich auf etwa 4000 Euro. Gewinner von Titeln und Medaillen durch Preisgelder auf das Doppelte und mehr. Eine olympische Goldmedaille in Rio bringt vier Millionen Rubel - 56 000 Euro.

Die »Nesawissimaja Gaseta« sieht bereits dunkelschwarz für die Zukunft des Sports in Russland. Die mit viel Geld und Mühe nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wiedererrichtete Infrastruktur des Hochleistungssport werde erneut verfallen, warnte das Blatt am Donnerstag in seinem Aufmacher auf Seite eins. 300 000 Arbeitsplätze von Trainern und Betreuern seien akut gefährdet,

Auch für den Breitensport drohen tragische Folgen. Mit ihm soll schließlich die »Volksgesundheit« verbessert werden. Eigens dazu wurde ein Zielprogramm aufgelegt, das Wirkung zeigt. Knapp 32 Prozent aller Russen trieben 2015 regelmäßig Sport, bei Programmstart 2006 waren es nur 15,9. Doch sollten die Ikonen aus dem Spitzensport nun von der Bildfläche verschwinden oder in anderen Landesfarben antreten, könnte auch Iwan Normalverbraucher sich schmollend auf die Couch zurückziehen und zum Entsetzen von Gesundheitspolitikern und Sportindustrie aus den Turnschuhen zurück in die Hauslatschen schlüpfen.

»Je länger der Gesundungsprozess des russischen Sportes andauert, desto größer das Auswanderungspotenzial«, glaubt Sportarzt Andrei. Sobald heute jemand in der Weltspitze anlange, sei er dopingverdächtig. Daher sei zu begrüßen, dass die neu geschaffene Antidoping-Kommission beim Nationalen Olympischen Komitee auch Kinder- und Jugendsportschulen mit aller Strenge nach einschlägigen »Vorkommnissen« durchforsten will: »Auch im Sport gilt das Prinzip: Wehret den Anfängen!«

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