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Das DFB-Team als Wundertüte

Beim 6:1-Sieg gegen Schottland zeigen die DFB-Frauen eine teils verstörende, teils verzückende Leistung

  • Frank Hellmann, Wolfsburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach einer schwachen ersten Halbzeit freute sich das deutsche Team nach der Pause über fünf Treffer innerhalb von 25 Minuten.
Nach einer schwachen ersten Halbzeit freute sich das deutsche Team nach der Pause über fünf Treffer innerhalb von 25 Minuten.

Vielleicht hätte den deutschen Fußballerinnen eine Werkstour zuvor ganz gutgetan. Erst kürzlich hat sich Julian Nagelsmann auf dem berühmten Kotflügel verewigt, auf dem die Prominenz aus aller Welt unterschreibt, wenn sie staunend besichtigt, wie Mensch und Maschine am Stammsitz des größten deutschen Autobauers zusammenarbeiten. Von VW-Seite hieß es, dass die Unterschrift von Christian Wück zeitnah hinzukommen soll. Dann hätten beide Bundestrainer des Deutschen Fußball-Bundes in Wolfsburg gesehen, dass an diesem Standort kein Zehntelmillimeter Abweichung geduldet wird. Die DFB-Frauen haben dagegen in der werkseigenen Arena in der Nations League gegen Schottland (6:1) eine Schwankungsbreite mit den Abmessungen einer Produktionshalle bemüht.

Mit einem Länderspiel zwischen Tiefschlaf und Traumtoren hatten die Spielerinnen ihren Trainer so verstört wie verzückt, weshalb Wück zunächst am ARD-Mikrofon sagte: »Die Mädels haben mich zweimal sprachlos gemacht. Wie man so zwei Gesichter zeigen kann mit der nahezu gleichen Truppe, das ist schon außergewöhnlich.« Klar sei auch: »So eine Halbzeit können wir uns bei der EM nicht leisten.« Dann ist die Endrunde in der Schweiz im Sommer beendet, ehe es ernst wird.

Später in der Pressekonferenz suchte der 51-Jährige fast verzweifelt nach Erklärungsansätzen, warum sein Ensemble auch im achten Länderspiele unter seiner Regie immer noch einer riesengroßen Wundertüte ähnelt. Sein Team sei erst »nicht annähernd an die Leistungsgrenze gekommen«, um dann eine »Leistungsexplosion« hinzulegen, »das war in die andere Richtung beeindruckend«. Der gebürtige Unterfranke nahm sich bei der Ursachenforschung auch selbst nicht aus. Zusammen mit seinen Ko-Trainerinnen Saskia Bartusiak und Maren Meinert habe das Trainerteam es offenbar nicht geschafft, nach dem 4:0 im Hinspiel die richtige Haltung zu vermitteln. Die Mannschaft habe anfangs »maximal 50 Prozent« abgerufen. Das reiche dann nicht mal gegen den Gruppenletzten.

Fehlende Konstanz bemängelte wiederholt auch schon Horst Hrubesch. Der Interimstrainer musste in der Halbzeit häufig Klartext reden. Auch sein Nachfolger Wück tätigte in der Pause eine »fette Ansage«, wie Selina Çerçi verriet, die mit ihrem schulmäßigen Kopfball zum 1:1 alle Blockaden löste. Plötzlich lief es mit fünf Treffern innerhalb von 25 Minuten wie geschmiert. Die 16 102 Fans im Stadion trällerten am Fließband die Tormelodie von »Major Tom«. Dreimal traf die für die TSG Hoffenheim spielende Çerçi, die hinterher den in ihren Besitz gebrachten Spielball so fürsorglich wie ein Neugeborenes behandelte. »Den werde ich mir irgendwo hinstellen. Das ist auch ein kleiner Antrieb für die EM.« Man habe nach der Pause »viel befreiter« gespielt und »einfach gezockt«.

Die 24-Jährige erhielt von Wück genauso ein Sonderlob wie Giovanna Hoffmann. Mit der aktuell noch für RB Leipzig auflaufenden Mittelstürmerin, die womöglich bald dauerhaft in Wolfsburg spielt, hatte das deutsche Angriffsspiel nach der Pause mehr Tempo und Tiefe – die 25-Jährige schnürte gekonnt ihren Doppelpack. »Sie ist eine geborene Mittelstürmerin«, lobte der frühere Bundesligastürmer Wück.

Und dann war da ja auch noch die lange glücklose Laura Freigang, die den Ball beim 5:1 mit dem Absatz über die Linie bugsierte. Ein mögliches »Tor des Monats« genau an jener Stelle, an welcher der Brasilianer Grafite vor 16 Jahren gegen den FC Bayern per Hacke für die Vorentscheidung in der Meisterschaft zugunsten des VfL Wolfsburg sorgte. Sie habe in der Situation gar nichts anderes machen können, freute sich die Offensivallrounderin von Eintracht Frankfurt. Die 27-Jährige ist trotz der Ausschläge für den Sommer optimistisch: »Unsere Decke ist sehr hoch. Wenn wir guten Fußball spielen, muss man mit uns rechnen. Wir müssen das Niveau konstanter halten – aber das ist klassisch für eine junge Mannschaft.«

Seinen endgültigen EM-Kader will der Bundestrainer erst nach den letzten Nations-League-Duellen gegen die Niederlande in Bremen (30. Mai) und gegen Österreich in Wien (3. Juni) nominieren. Aufs Nachbarschaftsduell gegen die »Orange Leuwinnen«, übrigens auch ein möglicher EM-Viertelfinalgegner, blickte Wück beim Abgang aus der Autostadt schon voraus: »Wir haben 6:1 gewonnen, machen wir einen Haken dahinter. Und dann schauen wir, dass wir in Bremen von der ersten bis zur letzten Minute eine gute Leistung bringen.«

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