Zur Not einfach mal klingeln
Bundeswehr im Innern - ganz pragmatisch
»Bitte legen Sie Ihr Gepäck in eine Reihe. Geöffnet.« So begrüßte der Feldjäger-Kommandeur am Mittwoch den Medientross in der Berliner Julius-Leber-Kaserne. Dann fügte er hinzu: »Essbares nehmen Sie am besten heraus ...« Schulterzucken, doch sodann tänzelte der Grund für diese ungewöhnliche Empfehlung herbei - eine vierjährige rotbraune Mischlingshündin. Sie steckte - auf der Suche nach Sprengstoff - die Nase in jede Tasche. Derweil spiegelte ein Soldat mit dem MP-Zeichen am Ärmel die Unterseite der Pressefahrzeuge.
Der Einsatz war wohl weniger der »Gefährlichkeit« von Medienmenschen als vielmehr der aktuellen und recht aufgeregten Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern geschuldet. Wo, wenn nicht im Kommando Territoriale Aufgaben kann man etwas über den Stand der Dinge erfahren? So die Hoffnung. Zumal dann, wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) diese Schnittstelle der zivil-militärischen Zusammenarbeit besucht.
Das Kommando verfüge, so ist in der Presseeinladung nachzulesen, über ein »breites und vielfältiges Fähigkeitsspektrum der Streitkräftebasis« und gerade hatte deren Chef, Generalleutnant Martin Schelleis, der »Süddeutschen Zeitung« erklärt, wie unentbehrlich die Truppe doch sei. In diversen Auslandseinsätzen habe man »umfassende Erfahrungen wie Organisation von Checkpoints, Umgang mit Sprengstoffbedrohungen oder Objektschutz« gesammelt. Der General sprach über »technische Fähigkeiten wie die mobile Luftraumüberwachung in niedrigen Höhen« und den Einsatz von Labors im Fall atomarer, biologischer oder chemischer Bedrohungen. Um es vorab zu sagen: Nichts von alledem wurde in Berlin beredet.
Dort war als Programmpunkt 1 die »Vorfahrt der Ministerin« geplant. Kommandochef, Generalmajor Jürgen Knappe, »baute Männchen«, zwei Soldaten präsentierten ihre Wehrmachtskarabiner. Ein Lächeln der Ministerin, dann kam Programmpunkt 2: »Käffchen« für die Presse. Samt Muffins. So gestärkt ging es in die Operationszentrale, das zweigeteilte Herzstück des Kommandos. Eine Herzkammer koordiniert die militärische Flüchtlingshilfe. Bis zu 9000 Soldaten waren in den Ankunftshochzeiten 2015 als »helfende Hände« abgestellt. Sie leisteten 2,2 Millionen Arbeitsstunden, die Bundeswehr gab eine Million Essen aus, stellte Busse ab und medizinische Hilfe bereit. Noch immer bietet die Bundeswehr Obdach für 50 000 schutzbedürftige Menschen.
Kein Zweifel, eine beachtliche Leistung. Doch derzeit ist es ruhig im »Inlandsführungskommando«. Lediglich 386 Bundeswehrangehörige sind - Stand 3. August, acht Uhr - noch zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgestellt. In der Operationszentrale sah man zehn Offiziere, zehn PCs, zehn Telefone. Keines klingelte. Nur auf zwei TV-Bildschirmen tobte das Leben: Während der Sender N24 eine brennende Boeing in Dubai zeigte, erklärte die Konkurrenz von ntv, dass Fußballer Julian Drexler den Wolfsburger Verein verlassen wolle. Auch jenseits des Ganges, wo ein Dutzend anderer Offiziere in einem ähnlichen Raum »normale Aufgaben« erledigen, war keine Spur von Hektik. Nach Dienstschluss und am Wochenende ist ohnehin alles zu. Aber was, wenn - wie jüngst - ein Amokläufer an einem Freitagabend um sich schießt? Die Frage irritiert die Verantwortlichen. Die Antwort irritiert die Journalisten. Sie lautet: »Dann muss man in der Kaserne den Offizier vom Dienst anrufen.«
Das alles steht in einem seltsamen Kontrast zu von der Leyens allzu eiliger Bereitstellung von Feldjägern und Sanitätern an jenem Münchner Terrorabend. Naheliegende Frage an die Ministerin: Niemand wollte Soldaten einsetzen. Ist das nicht ein Beleg dafür, dass niemand die Bundeswehr braucht? Oh nein! Von der Leyen fand es zwar »gut und richtig«, dass die Polizei nach Klärung der Lage das Angebot der Bundeswehr nicht abgerufen hat. Wohl aber sei es wichtig, dass die Truppe - so lange das Lagebild unklar ist - in Bereitschaft bleibt.
Was ist mit einer Verfassungsänderung? Solche Forderungen werden lauter. Die strebe sie nicht an, die sei ja nicht durchzusetzen, sagte von der Leyen und erklärte, sie wolle »ganz pragmatisch« die bestehenden Möglichkeiten der Verfassung ausschöpfen. Schon jetzt biete das Grundgesetz die Möglichkeit für »Amtshilfe in Ausnahmesituationen«, etwa einer terroristischen Großlage mit »katastrophischen Ausmaßen«. Dafür existierten seit Jahren Einsatzpläne. Aber angesichts der »Erfahrungen, die wir in den letzten ein, zwei Jahren gemacht haben«, müsse man sie aktualisieren und entsprechende Szenarien üben. Ende August werde sie sich daher mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Vertretern der Innenministerkonferenz treffen, um Übungen vorzubereiten.
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