»M99«: Keine Zwangsräumung, dafür Auszug im September

Vergleich beinhaltet Verzicht auf die für nächste Woche angedrohte Räumung. Im Gegenzug muss der Ladenbesitzer im September ausziehen

  • Philip Zeitner
  • Lesedauer: 3 Min.
Der »Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf« wird am Dienstag nicht zwangsgeräumt. Ausziehen muss Hans-Georg Lindenau dennoch. Darauf einigten sich beide Seiten in einem Vergleich.

»Die Gläubiger verpflichten sich, bis einschließlich dem 20.09.2016, die Vollstreckung aus den Titeln nicht durchzuführen.« So lautet der Vergleich zwischen den VermieterInnen der Manteuffelstraße 99 und dem Mieter Hans Georg Lindenau, genannt HG, Besitzer des dort ansässigen »Gemischtwarenladens für Revolutionsbedarf«. Das bedeutet: Der »M99« wird am kommenden Dienstag nicht geräumt.

Keine Zwangsräumung des Revolutionsbedarfsladens M99

Die UnterstützerInnen der Bizim Kiez-Initiative werteten dies auf ihrer Homepage als »großen Erfolg«. Es ist allerdings ein Erfolg, der nicht lange währt, denn es steht fest: Lindenau muss seinen einzigartigen Wohnladen verlassen. Als Teil des ausgehandelten Vergleichs muss er bereits Montag die zum Geschäft gehörende Wohnung im ersten Stock räumen und »besenrein« übergeben, das Ladenlokal folgt zum 20. September. Dass es zur Einigung kam, ist laut Bizim Kiez-Initiative zum einen dem »Vollstreckungsschutz« zuzuschreiben: Lindenau hatte eine ärztlich festgestellte Gefährdung im Falle einer Räumung vorgebracht, über die das Gericht entscheiden sollte. Der Vergleich sei aber auch Resultat der großen Solidarität mit dem »M99«, sagt Sara Walther vom »Bündnis Zwangsräumung verhindern«. Dass eine eventuelle Räumung nun erst im September anstehe »ist wohl auch den vielfältigen, stadtpolitischen Protesten zu verdanken«.

Zur Pressekonferenz empfängt Lindenau die JournalistInnen in der Wohnung, die er bis Montag räumen muss. Sie ist bereits leer, nur noch ein einsamer Traumfänger hängt an der Decke und schwingt im leichten Windzug. Lindenau sitzt auf einem Stuhl in der Ecke und erzählt den JournalistInnen seine Geschichte. Er wirft den HauseigentümerInnen »psychologische Kriegsführung« vor. Nicht nur gegen ihn selbst, sondern auch gegen seine UnterstützerInnen. Psychische Gewalt und Mobbing hätten bereits viele MieterInnen aus dem Haus getrieben.

Warum er und seine bisherigen NachbarInnen ausziehen sollen, ist für ihn klar: Mehr Profit durch höhere Mieten für die EigentümerInnen. Diesen hält Lindenau zudem vor, ihre Versprechen nicht eingehalten zu haben. Notwendige Sanierungen seien nie vorgenommen worden. Tatsächlich scheint die Wohnung ihre besten Zeiten schon eine ganze Weile hinter sich zu haben: Risse zerfurchen Holzbalken, Wände und Decken.

Der Rechtsanwalt der VermieterInnen, Cornelius Wollmann, wehrt sich gegen diese Vermutung: »Es handelt sich um eine verhaltensbedingte Kündigung, die vom Gericht bestätigt wurde.« So habe zum Beispiel ein Untermieter einen Wohnungsbrand verursacht.

Die geplante Kiezdemo unter dem Motto »Wir sind alle HG - wir lassen uns nicht verdrängen« wird am Sonntag dennoch stattfinden. »Die Demo wird jetzt ein Fest der erfolgreichen Abwendung von HGs Zwangsräumung«, heißt es in einer Pressemitteilung der Bizim Kiez-Initiative.

Lindenau braucht nun eine Bleibe, in der er seinen Wohnladen fortführen kann und die seiner Behinderung gerecht wird. »Ich bin jederzeit bereit, rauszugehen, wenn mich jemand freiwillig aufnimmt«, sagt er.

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