Olympisches Absurdistan

Während gedopte russische Sportler nun doch an den Spielen teilnehmen können, darf Julija Stepanowa nicht starten

  • Thomas Weitekamp, 
Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
Mindestens 271 russische Sportlerinnen und Sportler dürfen in Rio an den Start gehen. Von zahlreichen Experten muss sich das IOC heftige Kritik gefallen lassen.

Ein »Desaster«, eine »verheerende Botschaft«, »blanker Zynismus«: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) um den deutschen Präsidenten Thomas Bach hat mit seiner jüngsten Entscheidung in der Russland-Frage einen Proteststurm ausgelöst. Mehr als 270 Athleten aus der des Staatsdopings überführten Nation sind in Rio dabei - der Auftakt der Spiele am Freitag wurde damit für einige Experten endgültig zur Reise ins »olympische Absurdistan«. »Man kann es drehen und wenden, wie man will«, sagte Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel, »das ist ein Sieg für Bach, aber nicht für den fairen Sport.« Denn auch Bach persönlich steht im Kreuzfeuer der Kritik, der Vorwurf unter anderem: opportunistische Gefälligkeiten für die Sportmacht Russland.

Die wohl deutlichsten Worte fand dabei Ines Geipel, Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe. »Man möchte Herrn Bach zurufen: Das Spiel ist aus, Sie dürfen gehen.« Geipel ordnet die Entscheidung auch sporthistorisch ein: »Bislang hat es im Weltsport Doping gegeben, aber nicht die Tatsache, dass das IOC den Sonderfall Staatsdoping zum großen Gewinner macht.« Die 56-Jährige prangert einen »konsequent feigen Umgang« mit der »Causa Russland« an. Dies sei »nichts anderes als blanker Zynismus«, sie sehe eben: ein »olympisches Absurdistan«. Die Frage sei nun, »wie sich der Olympismus von der Zerstörungswut dieser Männer erholt, die ursprünglich mal dazu eingesetzt waren, dessen Ideen zu schützen.«

Die Veröffentlichung des McLaren-Reports im Juli hatte die Rufe nach einem Komplettausschluss Russlands laut werden lassen, das IOC verzichtete allerdings auf diese radikale Maßnahme und beauftragte stattdessen die jeweiligen Weltverbände mit einer Einzelfallprüfung - mit einer Aufgabe also, die knapp drei Wochen vor dem Auftakt offensichtlich kaum zu stemmen war.

Auch Deutschlands Nationale Antidoping Agentur halte »die IOC-Entscheidung nach wie vor für ein falsches Signal für den sauberen und fairen Sport«, teilte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer mit: »Insbesondere die Art und Weise, wie nun die Startberechtigungen in aller Eile verteilt wurden, ist für uns unverständlich.« Denn auch am Tag der Eröffnungsfeier war längst nicht klar, wie viele weitere russische Athleten zusätzlich die Startfreigabe erhalten würden. Wie erwartet kippte der Internationale Sportgerichtshof CAS am Donnerstag die Entscheidung des IOCs zu gedopten Russen.

Die wohl bitterste Pointe erhält dieses Chaos durch den Fall der Whistleblowerin Julija Stepanowa. Die Russin hatte geholfen, das System in ihrer Heimat aufzudecken und ist als frühere Doperin ebenfalls gesperrt - die Grundlage zur Klage vor dem CAS entzog ihr das IOC aber durch die Einordnung als »neutrale Athletin«.

All das ist wohl kein Zufall. »Dass eine große russische Mannschaft« in Rio dabei sein würde, »das war offensichtlich so gewollt«, vermutet Dagmar Freitag, Sportausschussvorsitzende im Bundestag. Dass der CAS das Startverbot für die ehemaligen Dopingsünder kippen würde, »muss jedem in der IOC-Exekutive klar gewesen sein. Und das, was wohl wirklich beabsichtigt war, ist erreicht: nämlich dass wohl alle Ex-Doper starten können - nur Julija Stepanowa nicht.«

Auch Clemens Prokop vermutet darin ein zentrales Ziel. »Das wäre eine verheerende Botschaft«, sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes, »weil mögliche Kronzeugen damit in Zukunft abgeschreckt werden.« Pharmakologe und Anti-Doping-Experte Sörgel indes sieht den Fehler auch im System, in einer lückenhaften Satzung des IOC, die das Chaos erst ermöglichte. »Auf jeden Fall«, so Sörgel, »müssen die IOC-Charta neu geschrieben und aus dem gegenwärtigen Desaster Konsequenzen gezogen werden.« SID/nd

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